04 - Herzenspoker
Dann
schloss er es wieder und lächelte zufrieden vor sich hin, während er
einschlief.
Neuntes Kapitel
Der abscheuliche,
erstickende Nebel wich den ganzen nächsten Tag nicht. Esther schien jeder
Möglichkeit beraubt, sich in Gesellschaft zu begeben, aber zu ihrer Überraschung
kam die Gesellschaft zu ihr.
Angezogen
wie durch einen Magnet vom Zauber ihres großen Reichtums, kamen die Kutschen
endlich angerollt, und die Männer und Frauen der tonangebenden Kreise stiegen
in Trauben aus.
Amy und
Peter waren begeistert, denn eine Esther, die mit einem ganzen Schwarm von
Angehörigen der großen Welt fertig werden musste, hatte keine Zeit, ihnen
Schulstunden zu geben. Esther wußte nicht, dass es in diesen Kreisen nicht
üblich war, die Kinder um sich zu haben; und so wurden Peter und Amy von den
Mitgliedern der Gesellschaft heftig umworben, da sie zu Recht der Meinung
waren, dass der Weg zum Herzen von Miß Jones über die Herzen ihrer kleinen
Geschwister führte.
Zuerst
war Esther sehr verlegen. Ihr fiel kein Gesprächsstoff ein, oder vielmehr
keiner, der hier passend gewesen wäre. Sie konnte mit diesen Leuten, die nur über
andere Leute, die sie gar nicht kannten, tratschten, nicht über die Dinge
sprechen, die sie interessierte: die politische Lage, der Krieg gegen Napoleon
oder auch das Wohlergehen ihrer Dienerschaft. Man hätte sie ausgelacht. Hier
redete man lieber über die Vorliebe des Prince of Wales für ältere Damen, und
einige meinten, seine Neigung zu Mätressen dieser Art zeige, dass sein
Bedürfnis nach schlichter, gefühlsbetonter Häuslichkeit stärker sei als nach
ausschweifenden Liebesnächten.
Und
dann wurde Lord Guy hereingeführt. Er übernahm unauffällig und auf so
geschickte Art die Rolle des Gastgebers, dass sich einige Abenteurer, die die
Hoffnung gehegt hatten, sie könnten die Aufmerksamkeit der reichen Erbin auf
sich ziehen, ganz schnell verabschiedeten. Esther konnte sich etwas entspannen
und sich der einfacheren Pflicht widmen, darauf zu achten, dass alle genug zu
essen und zu trinken hatten, während Lord Guy unbeschwert über dies und das
plauderte. Wie ein Mann, der erst so kurze Zeit in der Hauptstadt war, eine
solch erstaunliche Menge von belanglosem Gesellschaftsklatsch hatte ansammeln
können, war Esther ein Rätsel. Sie hätte ihn gern deswegen verachtet, doch sie
sah ein, dass er ihr dadurch viel peinliche Verlegenheit ersparte und sie
gleichzeitig in den Augen der Gesellschaft aufwertete.
Er
blieb ungefähr eine Viertelstunde und bot dann an, die Kinder mit ihrem Pony
Schneeball und der neuen kleinen Kutsche zu begleiten, um zu sehen, wie Peter
die Zügel handhabte.
Er nahm
die Kinder an die Hand, und mit vor Freude geröteten Gesichtern gingen Peter
und Amy mit ihm hinaus.
Esther,
die den Vormittag damit verbracht hatte, eine Anzeige abzufassen, die die
Beendigung ihrer Verlobung ankündigte, merkte allmählich, dass sie es trotz
ihres Geldes ohne Lord Guy sehr schwer haben würde, mit diesen Leuten
zurechtzukommen Aber lag ihr überhaupt etwas an der sogenannten feinen
Gesellschaft? Sie wunderte sich über sich selbst, denn sie hätte es eigentlich
vorgezogen, sich gemütlich mit Rainbird zu unterhalten. Er hatte am Vormittag
kurz vorgesprochen, und sie hatte ihm die Sache mit Miß Fipps vorgeworfen.
Rainbird
hatte jedoch zu bedenken gegeben, dass Miß Fipps, auch wenn sie zufällig Lord
Guys Cousine sei, eine durchaus achtbare Person sei und dass es wenige von dieser
Sorte gebe. Er fügte hinzu, dass Miß Jones sie nicht eingestellt hätte, wenn
Miß Fipps von Anfang an darauf hingewiesen hätte, dass sie mit Lord Guy
verwandt sei, und dass die Damen dann einander nicht kennen- und
schätzengelernt hätten.
Esther
hatte sich wieder einmal durch Rainbirds gesunden Menschenverstand besänftigen
lassen und ihm einen Posten in ihrem Haushalt angeboten. Er hatte geantwortet,
er brauche ein bisschen Zeit, um über diese Angelegenheit nachzudenken, aber
Esther war sich sicher, dass er ablehnen würde. ,
Dass
ein einfacher Diener die Treue zu seinen Freunden höher wertete als Geld,
erstaunte Esther sehr. Sie hatte nie darüber nachgedacht, dass Diener ihre
eigene Welt und ihre eigenen Gesetze hatten. Rainbird hatte ihr die Augen für
diese andere Welt geöffnet.
Als das
Unbehagen am Krieg und die drohende Invasion London wieder einmal mit eisernem
Griff festhielten, war. die Gesellschaft, so widersinnig es schien, mehr denn
je darauf versessen, die nichtigen Dinge
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