04 - Mein ist die Rache
vergewisserte sich, daß sie nur Geld, ihre Schlüssel, den Zettel mit dem Namen des Nachtlokals und zwei kleine Plastikbeutel mit dem Stoff darin hatte. Dann ging sie.
Eine kurze Fahrt mit dem Aufzug, dann trat sie aus dem Haus in die Großstadtnacht, erfüllt von Maschinen- und Menschengerüchen. Wie immer warf sie, ehe sie in Richtung Praed Street losging, einen beifälligen Blick auf die graue Steinfassade des Hauses und die Worte Shrewsbury Court Apartments über der doppelflügeligen Tür, Tor zu ihrem Versteck und ihrer Zuflucht, dem einzigen Ort, an dem sie sie selbst sein konnte.
Sie wandte sich ab und ging den Lichtern des Paddington-Bahnhofs entgegen, um von dort mit der District Line bis Nottinghill Gate zu fahren und dann mit der Central Line weiter zur Tottenham Court Road, die Freitagabend im betäubenden Dunst der Abgase und an den schiebenden Menschenmengen zu ersticken drohte.
Rasch ging sie zum Soho Square. Hier drängten sich die Kunden der Peep-Shows, eine wogende Masse lüsterner Sensationsjäger, die mit grölenden Stimmen in allen denkbaren Akzenten und Dialekten obszöne Bemerkungen über die aufreizenden Darbietungen von Bein, Busen und mehr tauschten. An einem anderen Abend hätte Tina vielleicht einen oder mehrere von ihnen als Kandidaten für eine amüsante Begegnung in Betracht gezogen. Aber nicht heute. Heute abend war alles vorgegeben.
In der Bateman Street sah sie über einem unappetitlich riechenden italienischen Restaurant das Schild hängen, nach dem sie Ausschau gehalten hatte. Kat's Kradle, stand darauf, und ein Pfeil wies in eine unbeleuchtete kleine Gasse gleich um die Ecke. Sie ging zur Tür und stieg die kurze Treppe hinunter, die so schmutzig war wie die Gasse, und wo es nach Alkohol, Erbrochenem und defekter Kanalisation roch.
Für ein Nachtlokal war es noch früh. In Kat's Kradle war nicht viel los, nur ein paar Gäste saßen an den Tischen rund um die Tanzfläche von der Größe einer Briefmarke. Die kleine Band, Saxophon, Klavier und Schlagzeug, stimmte ein melancholisches Jazzstück an, während die Sängerin an einen Hocker gelehnt rauchte und mit gelangweilter Miene auf ihren Einsatz wartete.
Es war sehr düster in dem Raum, der nur von einem schwachen bläulichen, auf die Band gerichteten Scheinwerfer, Kerzen auf den Tischen und einem Licht über der Bar erleuchtet war. Tina schob sich auf einen Hocker vor dem Tresen, bestellte einen Gin Tonic und stellte fest, daß dieses Bumslokal, so verwahrlost es war, ein echt idealer Treffpunkt war, das Beste, was Soho für ein heimliches Rendezvous zu bieten hatte.
Das Glas in der Hand, musterte sie ihre Umgebung: schattenhafte Gestalten, Zigarettenqualm, gelegentliches Aufblitzen eines Schmuckstücks oder der Flamme eines Feuerzeugs. Stimmengewirr, Gelächter, Geldgeklimper, Paare, die sich auf der Tanzfläche bewegten. Aber dann sah sie ihn, einen jungen Mann, der allein an einem Tisch in der hintersten Ecke saß. Sie lächelte.
Typisch Peter, so einen Schuppen zu wählen, wo er sicher sein konnte, daß ihm niemand von der Familie oder seinen feudalen Freunden über den Weg lief. Im Kat's Kradle brauchte er nicht zu fürchten, mißverstanden zu werden.
Tina beobachtete ihn. Vorfreude flatterte in ihrem Magen, während sie auf den Moment wartete, da er sie hinter Rauchschwaden und tanzenden Körpern entdecken würde. Aber er hatte überhaupt kein Auge für sie, sondern starrte unverwandt zur Tür, hob nur ab und zu die Hand und griff sich nervös in das kurzgeschnittene blonde Haar. Minutenlang beobachtete Tina ihn mit Interesse, während er schnell hintereinander zwei Drinks bestellte und sie hinunterkippte. Sie sah, wie sein Mund mit jedem Blick auf die Uhr, mit der wachsenden Qual des Verlangens immer schmäler wurde. Er war, soweit sie es erkennen konnte, ziemlich schäbig angezogen für den Bruder eines Earl: eine abgetragene Lederjacke, Jeans und ein T-Shirt mit dem verwaschenen Aufdruck Hard Rock Café. Von einem Ohr hing ihm ein goldener Ohrring herunter, den er von Zeit zu Zeit berührte wie einen Talisman. Unablässig kaute er an den Fingern seiner linken Hand, und mit der Rechten, die zur Faust geballt war, schlug er sich ab und zu beinahe krampfhaft auf die Hüfte.
Als eine Gruppe lauter Deutscher in das Lokal kam, sprang er auf, fiel aber gleich wieder auf seinen Stuhl zurück, als sich zeigte, daß die Person, auf die er wartete, nicht dabei war. Er zog eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche,
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