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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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und der hochgeschlagene Kragen ihres Mantels umrahmte ihr Gesicht ähnlich einer elisabethanischen Halskrause. Sie sah sehr schön aus. Doch ihr Gesicht hatte sich gewandelt; es trug einen Zug, den er vor sechs Wochen noch nicht bemerkt hatte, einen Zug von Wehmut und Reife.
    »Das Essen ist fertig«, sagte sie, als sie ihn erreichte. »Du hast einen langen Spaziergang gemacht, nicht?« Sie stellte sich neben ihn an die Mauer. Es war wie ein ganz normales Zusammentreffen, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen, als wäre sie nicht vor einem Monat ohne ein Wort, ohne einen Gruß aus seinem Leben verschwunden.
    »Ich habe nicht auf die Zeit geachtet. Sidney hat mir erzählt, daß ihr zusammen in Wales wart.«
    »Ja, es war ein herrliches Wochenende.«
    Er nickte. Er hatte eine Schwanenfamilie auf dem Wasser beobachtet und hätte sie gern darauf aufmerksam gemacht. Aber sie war zu distanziert.
    Doch da hatte sie die Vögel, scharf umrissen vor den Lichtern des anderen Ufers, schon selbst gesehen. »Ich habe hier an dieser Stelle noch nie Schwäne gesehen«, sagte sie. »Und noch dazu abends. Wie merkwürdig.«
    Es waren fünf - zwei große Schwäne und drei fast ausgewachsene Junge. Ruhig und friedlich trieben sie nahe den Streben der Albert Bridge auf dem Wasser.
    »Ja, sonderbar«, sagte er und nutzte die Gelegenheit, die die Anwesenheit der Vögel ihm gab. »Es hat mir weh getan, daß du damals in Paddington den Schwan zerbrochen hast.«
    »Ich kann nicht nach Hause kommen«, versetzte sie. »Ich muß irgendwie mit dir Frieden schließen. Vielleicht finden wir eines Tages den Weg, wieder Freunde zu werden. Aber ich kann nicht nach Hause kommen.«
    Das also war die Veränderung. Sie wollte Distanz wahren, um ihre Gefühle zu schonen, wie Menschen das tun, wenn zwischen ihnen etwas zu Ende gegangen ist. Es erinnerte ihn an ihn selbst, wie er vor drei Jahren gewesen war, als sie zu ihm gekommen war, um ihm Lebewohl zu sagen, und er nur zugehört hatte, weil er Angst gehabt hatte, wenn er auch nur ein Wort sagte, würden sich Schleusen öffnen und all seine Gefühle in einer entwürdigenden Flutwelle des Flehens hervorbrechen, dem nachzugeben ihr Zeit und Umstände nicht erlaubt hätten. Und nun, so schien es, waren sie wieder an diesem Punkt angelangt, am Punkt des Abschieds. Wie einfach, kurz und bündig Lebewohl zu sagen und zu gehen.
    Er blickte von ihrem Gesicht zu ihrer Hand, die auf der Mauer ruhte. Sie trug Lynleys Ring nicht mehr. Leicht berührte er den Finger, an dem der Ring gesteckt hatte. Sie zog die Hand nicht zurück, und daß sie es nicht tat, ermutigte ihn zu sprechen.
    »Verlaß mich nicht wieder, Deborah.«
    Er sah, daß sie eine solche Reaktion nicht erwartet hatte. Sie war nicht darauf gefaßt gewesen und hatte keine Abwehr vorbereitet. Er nutzte seinen Vorteil.
    »Du warst siebzehn. Ich war achtundzwanzig. Kannst du wenigstens versuchen zu verstehen, wie das damals für mich war? Ich hatte seit Jahren daran gearbeitet, mich innerlich von allen Menschen zu distanzieren. Und plötzlich merkte ich, wie wichtig du mir warst. Wie sehr ich dich begehrte. Und glaubte doch die ganze Zeit, wenn wir miteinander schlafen würden ...«
    »Das alles ist doch vorbei«, sagte sie rasch und leichthin.
    »Es spielt keine Rolle mehr. Am besten, wir vergessen es.«
    »Ich redete mir ein, ich dürfte nicht mit dir schlafen, Deborah. Ich dachte mir alle möglichen wahnsinnigen Gründe dafür aus. Verpflichtung deinem Vater gegenüber. Verrat an seinem Vertrauen. Zerstörung unserer Freundschaft. Unentwegt hielt ich mir dein Alter vor Augen. Ganze siebzehn Jahre alt. Ich würde mich nicht mehr im Spiegel ansehen können, sagte ich mir, wenn ich ...«
    »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Es ist vorbei. Nach allem, was geschehen ist, macht es doch keinen Unterschied mehr, daß wir vor drei Jahren nicht miteinander ins Bett gegangen sind.«
    Ihre Worte waren weniger kalt als vorsichtig und abwehrend, als fühlte sie sich in den Gründen für ihre Entscheidung, ihn zu verlassen, angegriffen.
    »Doch. Denn wenn du wirklich gehen willst, dann sollst du dieses Mal wenigstens die Wahrheit wissen. Ich ließ dich damals gehen, weil ich Frieden wollte. Ich wollte dich aus dem Haus haben. Ich sagte mir, wenn du weg wärst, würden die ewigen Kämpfe aufhören. Meine Sehnsucht nach dir würde vergehen. Ich würde keine Schuldgefühle mehr haben, weil ich dich begehrte. Aber du warst noch keine Woche weg, als ich die

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