04 Verhaengnisvolles Schweigen
England wäre alles besser. Wahrscheinlich erinnerte er sich an seine eigene Schulzeit, als selbst Kinder armer Eltern Latein lernen konnten, und dachte, es wäre immer noch so. Vielleicht empfand er es nicht einmal als kriminellen Akt, Collier zu erpressen. Oder vielleicht doch. Er hatte genug Gründe, eine Abneigung gegen ihn zu haben.«
»Mal wieder das alte britische Klassensystem?«
»Teilweise. Man kann Allen schwer einschätzen. Größtenteils wirkt er wie ein anständiger Mensch, der nur Pech hatte, gleichzeitig hat er einen großen Komplex mit sich rumgetragen. Ich nehme an, wir werden nie erfahren, was ihn wirklich motiviert hat.«
»Aber du hast seinen Mörder.«
»Ja - wenn er nicht getürmt ist. Außerdem haben wir noch keine Beweise.«
»Er weiß, dass du hier bist und das Mädchen suchst?«
»Das ganze Dorf weiß es. Wir haben einen Mann vor Ort.«
»Na dann ... Um wie viel Uhr geht dein Flug?«
»Neun Uhr.« Er schaute auf seine Uhr. »Himmel, es ist schon sechs. Ich gehe jetzt besser und packe meine Klamotten.«
»Ich fahre dich«, sagte Gregson. »Ich habe den ganzen Tag frei, außerdem kann es ziemlich umständlich sein, raus zum Flughafen zu kommen.«
»Wirklich? Großartig.«
Im Haus packte Banks sein spärliches Hab und Gut sowie die Geschenke zusammen, die er für seine Familie gekauft hatte, schrieb Gerry ein paar Dankeszeilen und legte sie zu der Flasche Scotch. Auf eine Art war er traurig, das Haus und die Gegend zu verlassen. Während der letzten Woche waren ihm der Klang der vorbeiratternden Streetcars, die Schnellstraße in dem grünen Tal, die Skyline Downtowns und die belebten, überfüllten chinesischen Läden am Broadway und an der Gerrard Street vertraut geworden.
Auf dem Lakeshore Boulevard bis zur Flughafenabfahrt herrschte kein besonders dichter Verkehr, so dass sie bis zum Abflug noch einige Zeit hatten. Vor der Abflugzone tauschten die beiden Polizisten Adressen und Einladungen aus, dann fuhr Gregson geradewegs zurück nach Hause. Banks konnte es ihm nicht verdenken. Er hasste es auch immer, auf einem Flughafen rumzuhängen, wenn man selbst keine Maschine zu erreichen hatte.
Nach der Schlange am Eincheckschalter, einem Abstecher in den Duty-free-Laden und dem Gang durch die Sicherheitskontrolle und an der Einwanderungsbehörde vorbei war es fast schon Zeit, das Flugzeug zu besteigen. Als sie abhoben, schaute Banks aus dem Fenster und sah die Stadt im Zwielicht unter ihm aufleuchten. Gitter und Achten aus Licht, so weit er sehen konnte, in jeder Richtung außer Süden, wo er die geschwungene Bucht und das matte Silbergrau des Ontario-Sees erkannte.
Als sie in Flughöhe waren, schaltete er seinen Walkman an. Diesmal erschienen ihm die schwärmerischen Arien von Kiri te Kanawa angemessen. Johnny Walker leistete ihm Gesellschaft, und das Essen konnte ihn nicht mehr schrecken. Mittlerweile war er ein erfahrener Reisender. Selbst der Film war diesmal annehmbar. Ein spannender Thriller ohne AutoVerfolgungen und Spezialeffekte, die Banks' Freude an diesem Genre meist verdarben. Dieser Film konzentrierte sich auf die Psychologie zwischen Polizist und Opfer.
Er schlief eine Weile, würgte zum Frühstück Kaffee und Brötchen runter und sah beim Blick aus dem Fenster, dass die Sonne über Irland schien.
Es ging auf zehn Uhr morgens Ortszeit zu, als er sein Gepäck aufnahm und vom Zoll abgefertigt wurde. Inmitten der Traube von Menschen, die Verwandte und Freunde abholten, stand Sandra, die ihre Arme um ihn warf und ihm einen langen Kuss gab.
»Brian und Tracy sollten eigentlich auch mitkommen«, sagte sie, ließ ihn los und nahm ihm die Dutyfree-Tüte ab, »aber du weißt ja, dass sie sonntagmorgens nie aus den Betten kommen.«
»Oder wollen sie einfach nichts mehr von mir wissen?«
»Spinner. Sie haben dich genauso vermisst wie ich. Fast.«
Sie küsste ihn wieder, dann gingen sie los zum Wagen.
»Hier drinnen findet man sich überhaupt nicht zurecht«, klagte sie. »Fürs Parken schröpfen sie einen ordentlich. Und die ganze Strecke hierher ist voll mit Baustellen. An der Barton Bridge wird immer noch gebaut, weißt du. Oben in den Pennines war es total neblig. Oh, ich meckere die ganze Zeit, oder? Ich bin einfach froh, dich zu sehen. Du musst total müde sein.«
Banks unterdrückte ein Gähnen. »Für mich ist es jetzt fünf Uhr morgens. Und im Flugzeug kann ich nicht schlafen.
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