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04 Verhaengnisvolles Schweigen

Titel: 04 Verhaengnisvolles Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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ist, und bedrängen mich so lange, bis ich Stephen verrate. Das wollte ich nicht. Ich bin keine gute Lügnerin, wie Sie merken, Mr Banks.«
      »Und drittens?«
      »Angst.«
      »Vor Stephen?«
      »Ja. Wie gesagt, er ist ein vielschichtiger Mensch. Er hat auch eine dunkle Seite. Auf eine Art ist er verletzlich, auf eine andere aber sehr pragmatisch. Manchmal kann das eine ziemlich beängstigende Kombination sein. Sagt man nicht auch, dass Mafiapaten sehr gefühlvolle Menschen sind? Schicken sie der Witwe nicht Blumen, wenn sie jemanden ermordet haben? Und waren die Nazis nicht auch sentimental? Ich kannte das jedenfalls von ihm. An einem Tag war ich seine Vertraute, am nächsten nahm er mich überhaupt nicht wahr. Dabei hatte er nicht die Absicht, mit mir zu spielen, er verhielt sich einfach so, als hätten wir nie etwas miteinander zu tun gehabt. Im Grunde kann Stephen niemandem wirklich nahekommen. Er hat es versucht, zum Beispiel dadurch, dass er mir Dinge anvertraut hat. Aber am nächsten Tag hat er es bereut und ging total auf Distanz. Was mir damals Angst gemacht hat, war die Bedeutung der Sache, die er mir damals anvertraut hatte. Möglicherweise hätte er nicht damit leben können, dass ein labiler Mensch wie ich von seinem Geheimnis wusste.«
      »Mit anderen Worten, Sie hatten Angst, sein nächstes Opfer zu werden.«
      »Ich weiß, es ist schrecklich, so was über jemanden zu sagen, den man im Grunde mag und respektiert - vielleicht sogar einmal geliebt hat -, aber Sie liegen richtig: Der Gedanke ging mir durch den Kopf. Da ich ohnehin vorhatte, eines Tages zu verschwinden, fiel es mir nun noch leichter. Und es gab niemanden, der viel Aufhebens um meinen Weggang machte.«
      »Was waren das für Dinge, die er Ihnen vorher anvertraut hatte?«
      »Ach, nichts Besonderes. Vielleicht irgendein faules Geschäft. Es gefiel ihm, wenn er jemanden übers Ohr gehauen hatte. Oder eine Trickserei mit der Einkommenssteuer. Er hasste das Finanzamt.«
      »Mehr nicht?«
      »Nein. Nicht bis zu diesem Vorfall.«
      Sie nippten beide an ihren Getränken. Um sie herum gingen die Gespräche weiter. Jetzt, wo sie ihre Geschichte erzählt hatte, wirkte Julie deutlich entspannter. Banks fand in ihren Augen keine Spuren dieses hasserfüllten Blickes mehr.
      »Hat er irgendetwas über dieses Ereignis in Oxford gesagt?«, fragte er.
      Julie schüttelte den Kopf. »Nichts.«
      »Also wissen Sie nicht, was dort vorgefallen ist oder wer sonst noch daran beteiligt gewesen war?«
      »Nein. Tut mir leid. Damals dachte ich nicht mal daran, zu fragen. Es war schon schwer genug, mit dem klarzukommen, was er mir gerade erzählt hatte.«
      Banks seufzte. Doch auch wenn er noch nicht die ganze Geschichte aufgedeckt hatte, war er ein gutes Stück vorangekommen. Die Reise hatte sich gelohnt. Julie ging wieder zu den anderen. Banks verabschiedete sich von allen und verließ den Pub. Es war um neun Uhr an einem heißen, schwülen Abend. Anstatt den Bus zu nehmen, überquerte er die Kingston Road und ging Richtung See. An einer Stelle senkte sich die Straße steil hinab, kreuzte eine andere Hauptstraße mit Straßenbahnschienen und endete dann ungefähr hundert Meter weiter am Strand.
      Paare spazierten Hand in Hand die Uferpromenade entlang oder saßen auf Bänken und starrten aufs Wasser. Einige Leute joggten schwitzend vorbei, andere führten ihre Hunde aus. Banks ging über den weichen Sand zu einer Gruppe Felsen, die aus dem See ragten. Er kletterte so weit nach vorne, wie er konnte, und setzte sich auf den warmen Stein. Das Wasser schwappte genau bis unter seine Füße. Der Horizont war ein breiter, malvenfarbener Streifen, darüber war das Rosa des Himmels von nebligem Grau verwischt. Banks zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, ob das, was er in der Entfernung sah, schon die Vereinigten Staaten waren oder nur eine niedrig hängende, schmale Nebelbank.
      Er hatte die Informationen erhalten, für die er gekommen war, obwohl er immer noch nicht alle Fäden zusammenknüpfen konnte. Doch sobald er zurück war, konnte er wenigstens Stephen Collier gründlicher verhören, ganz gleich, welchen Einfluss er beim stellvertretenden Polizeichef hatte. Collier hatte Raymond Addison ermordet und möglicherweise auch Bernard Allen. Noch hatte er keinen Beweis dafür, aber Banks würde einen finden, und wenn es sein ganzes Leben dauern sollte. Collier würde der Justiz nicht entgehen, trotz seines

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