04 Verhaengnisvolles Schweigen
fortgenommen hätte, wäre das Leben vielleicht gar nicht so schlecht gewesen. Sie wusste, dass auch er sie gelegentlich hätte nehmen wollen - den Preis hätte sie zahlen müssen -, aber er schien wie Bernard ein sanfter Mensch zu sein, und vielleicht wäre er nicht zu fordernd gewesen. Kurz vor dem Einschlafen schwirrten verschwommene Bilder durch ihren Kopf: ihre Großmutter, die mit schwarzen, funkelnden Augen mit dem Haar des Jungen herumfuchtelte; Bernard, der keuchend an ihren Kleidern zerrte ... Im nächsten Moment hörte sie, wie die Hintertür laut geöffnet und wieder zugeschlagen wurde. Sam. Schnell drehte sie sich um und zog die Decke bis über die Ohren. Ihre Füße waren kalt.
»Was hältst du von der Sache, Alan?«
Banks und Gristhorpe saßen am späteren Abend am Esszimmertisch und tranken zollfreien Bell's. Die Kinder waren bereits im Bett, und Sandra blätterte durch das Buch, das ihr Banks aus Toronto mitgebracht hatte. Nach einem kurzen Nickerchen am Nachmittag fühlte sich Banks jetzt wieder besser.
»Sie stinkt zum Himmel. Ich spüre in Toronto Anne Ralston auf, und sie erzählt mir, dass ihr Stephen Collier so gut wie gestanden hat, dass er Addison wegen irgendeines Skandals, in den er vor langer Zeit in Oxford verwickelt war, totgeprügelt hat. Und dann komme ich zurück, und Collier ist praktischerweise selbst tot - ein Unfall. Das läuft mir zu glatt.«
»Mmmmh.« Gristhorpe nippte an seinem Scotch. »Im Prinzip könnte trotzdem alles so gewesen sein. Doch nehmen wir mal an, dass es nicht so war. Was könnte sonst passiert sein? Aber entschuldige, Alan, du musst ja total erledigt sein. Sollen wir lieber morgen weitermachen?«
Banks zündete sich eine Zigarette an. »Nein, ist schon in Ordnung. Was meiner Meinung nach passiert ist? Keine Ahnung. Ich dachte, ich wäre aus allem einigermaßen schlau geworden, aber jetzt ist wieder alles durcheinandergeraten. Klar wäre es stimmig, wenn Collier Selbstmord begangen hätte. Er wusste, dass er in Schwierigkeiten steckt, wenn ich zurückkomme. Vielleicht hat er den Druck, der sich während der Woche in ihm aufgebaut hat, nicht mehr ausgehalten. Andererseits, was ist, wenn er nicht der Mörder von Allen ist? Was, wenn er wusste, wer es war, und der Mörder fürchtete, dass Collier unter Druck aussagt? Damit hätte diese Person ein Motiv, Collier loszuwerden, oder? Denn eine eindeutige Beziehung zwischen den Morden an Addison und Allen konnten wir noch nicht nachweisen.«
»Nur in Anne Ralston.«
»Vielleicht gibt es noch etwas anderes. Einen Aspekt, den wir noch nicht richtig berücksichtigt haben.«
»Zum Beispiel?«
»Das ist das Problem. Ich habe keinen Schimmer.«
Gristhorpe schwenkte den Bell's in seinem Glas. »Dann muss es was mit Addison und Ralston zu tun haben.«
»Ich möchte so schnell wie möglich nach Oxford und mich dort ein bisschen umschauen. Ich kenne jemanden von der Oxforder Kriminalpolizei, Ted Folley. Wir waren zusammen in der Ausbildung.«
Gristhorpe nickte. »Kein Problem.«
»Vielleicht hatte Addison etwas herausgefunden und wollte Collier erpressen.«
»Er hatte keine Vorstrafen.«
»Stimmt. Aber du kennst die Privatdetektive genauso gut wie ich, besonders Einzelgänger. Außerdem können wir davon ausgehen, dass Bernard Allen die gleichen Informationen besaß, oder einen Teil davon, und dass auch er Collier erpressen wollte.«
Gristhorpe rieb sich sein stoppeliges Kinn. »Gut. Aber wenn Collier deswegen Allen ermordet hat, wer hat dann Collier umgebracht? Und warum?«
»Das müssen wir herausfinden.«
»Also steht immer noch der ganze Haufen unter Beobachtung?«
»Sieht so aus. Die Verandatüren hinten waren nicht verschlossen. Jeder von ihnen könnte zurück zum Haus gegangen sein und ihm einen Drink mit den Barbituraten eingeschenkt haben. Oder es hat ihm vorher schon jemand Tabletten ins Bier gekippt. Er war schon so hinüber, dass er wahrscheinlich nichts gemerkt hätte.«
»Wäre aber riskant gewesen.«
»Ja. Aber welcher Mord ist das nicht?«
»Stimmt.«
»Und dann ist da die Sache mit dem Wodka. Darüber will ich noch mit Freddie Metcalfe reden.«
»Welcher Wodka?«
»Jemand aus der Gruppe hat in der Nacht Wodka bestellt, aber Richmond hat niemanden welchen trinken sehen.«
»Du glaubst also, jemand hat Colliers Bier mit einem Schuss Wodka aufgepeppt, damit er richtig betrunken
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