04 Verhaengnisvolles Schweigen
Bücher waren.«
»Und was hatte er an?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Du, Katie?«
Katie schüttelte den Kopf. »Aber es war ein warmer Tag«, sagte sie. »Das weiß ich noch. Ich glaube, er trug einfach ein Hemd mit offenem Kragen. Weiß. Und leichte Hosen, keine Jeans. Nur Amateure tragen Jeans beim Wandern.«
»Die sind zu schwer, wissen Sie«, erklärte Sam. »Besonders, wenn sie feucht werden. Wir bemühen uns manchmal, unseren Gästen Ratschläge zu geben. Außerdem fragen wir immer, wohin sie gehen wollen, wenn sie am Abend zurückerwartet werden. Auf diese Weise können wir der Bergwacht gezielte Hinweise geben, wenn die Gäste nicht zurückkehren.«
Banks nickte. »Sehr vernünftig. Haben Sie zurzeit Zimmer frei?«
»Ich denke schon«, sagte Sam.
»Die Sechs und die Acht«, fügte Katie hinzu.
»Gut, die nehmen wir.«
»Sie bleiben hier?«
»In Swainshead müssen noch eine ganze Menge Fragen gestellt werden«, sagte Banks. »Nach Eastvale und zurück sind es achtzig Kilometer. Wir werden auf jeden Fall heute Nacht hierbleiben.«
»Das eine ist ein Einzelzimmer«, sagte Katie. »Das andere ein Doppelzimmer.«
Banks lächelte sie an. »Schön. Sergeant Hatchley nimmt das Einzelzimmer.« Banks wusste, dass es unfair war. Er war viel schmaler gebaut als der reichlich gepolsterte Hatchley, außerdem gut zwölf bis fünfzehn Zentimeter kürzer. Aber ein Dienstgrad, so dachte er, hat auch seine Privilegien.
»Seien Sie nicht beleidigt, Hatchley«, sagte er, als sie zum Wagen rübergingen und ihre Sachen für die Nacht holten. »Mein Zimmer mag zwar größer sein, aber es liegt wahrscheinlich gleich neben den Abwasserleitungen. Was halten Sie von Mrs Greenock?«
»Nicht schlecht, wenn man diese feenhaften Figuren mag«, sagte Hatchley. »Ich persönlich ziehe es ja vor, wenn sie ein bisschen mehr Fleisch auf den Rippen haben.«
»Ich wollte nicht wissen, wie Sie ihr Aussehen auf Ihrer persönlichen Skala einordnen. Was ist mit ihrem Verhalten?«
»Sagt nicht viel, oder? Scheint mir ein bisschen neben sich zu stehen. Ich glaube, bei ihr steckt mehr dahinter, als man auf den ersten Blick meint.«
»Das glaube ich allerdings auch«, sagte Banks. »Ich habe sogar den deutlichen Eindruck, dass sie etwas verheimlicht.«
Die Greenocks aßen schweigend ihr Mittagessen, dann machte sich Sam davon. Katie, die ihren Appetit verloren und im Essen nur herumgestochert hatte, stapelte das Geschirr in die Spülmaschine, wählte das Programm und schaltete sie ein. Sie musste noch Einkäufe erledigen und das Abendessen vorbereiten, doch vorher nahm sie sich ein paar Minuten zum Ausspannen.
Als sie sich aufs Sofa legte und auf die Hänge des Swainshead-Berges jenseits des Gartens schaute, musste sie daran denken, wie Bernie ihr beim Abwasch geholfen, von Toronto erzählt oder im Fernsehen Cricket geschaut hatte. Sie erinnerte sich an die kleinen Geschenke, die er jedes Mal mitgebracht hatte, Geschenke, die er zweifellos im letzten Moment im Flughafen gekauft hatte, so wie es ihm ähnlich sah. Ein Glas reinen Ahornsirup, eine Kiste Zigarren oder eine Flasche Single Malt Whisky für Sam, Parfüm für Katie, Opium von Yves Saint Laurent oder Chanel N0.5. Sie hatte es nie übers Herz gebracht, ihm zu sagen, dass sie kein Parfüm benutzte und dass sie sich bei dem einzigen Mal, als sie es versucht hatte, vorgekommen war wie eine Landstreicherin. Sie hatte sich das edle White Linen von Estee Lauder sofort wieder abgeschrubbt. Jetzt lagen die drei kleinen Fläschchen fast unberührt im Dunkeln der Schubladen ihres Schlafzimmerschrankes.
Manchmal hatte ihr Bernie sogar im Garten geholfen. Für die Pflanzen hatte er nicht gerade ein Händchen gehabt, doch er konnte einigermaßen mit einer Schaufel oder einer Hacke umgehen. Bernie, immer aufmerksam und freundlich. Dann begannen sich düstere Bilder in ihre Erinnerungen zu schieben. Die schob sie mit einem Stirnrunzeln beiseite. Stattdessen sah sie endlose Prärien voller goldener, sich im Wind wiegender Getreidefelder und hörte das Meer gegen eine verklüftete Küste schlagen, hinter der gigantische Wälder bis zum Himmel aufragten. Bernie hatte ihr alles von Kanada erzählt, hatte von allen Orten berichtet, die er besucht hatte. Jetzt, wo Bernie tot war, würde sie das alles nie sehen können.
Sie dachte wieder an das, was Fellowes gesagt hatte, als er betrunken auf dem Bett
Weitere Kostenlose Bücher