04 Verhaengnisvolles Schweigen
gelegen und plötzlich nach ihrer Hand gegriffen hatte. »Sie bewegt sich«, hatte er gesagt. »Bewegt sich.« Damals hatte sie nicht gewusst, was er meinte. Doch jetzt wusste sie es. Wenn Bernie zwei Wochen lang da oben gelegen hatte, dann war er wahrscheinlich in einem ähnlichen Zustand gewesen wie das tote Lamm, das sie letztes Jahr auf dem Adamsberg gesehen hatte. Man durfte gar nicht daran denken.
Ihr war klar, dass sie einen schlechten Eindruck auf die Polizisten gemacht hatte, aber das ließ sich im Moment nicht ändern. Der schmale, dunkle, derjenige, der zu klein für einen Polizisten aussah, würde mit Sicherheit noch einmal mit ihr sprechen wollen. Wie konnte sie ihr Geheimnis für sich behalten? Sie sah ihre Großmutter über sich stehen, das faltige Gesicht streng und hart, mit Augen wie schwarze Stecknadelköpfe, die sie durchbohrten: »Geheimnisse, Mädchen, Geheimnisse sind des Teufels Sache. Gott liebt ein reines und offenes Herz.« Aber sie musste dieses Geheimnis für sich behalten.
Man musste im Leben so viele Dinge tun, die gegen Gottes Gebote verstießen, jedenfalls schien es ihr so. Wie konnte ein Mensch ohne Sünden leben? Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie noch wusste, was recht und was unrecht war. Manchmal dachte sie schon, es wäre eine Sünde zu atmen oder überhaupt am Leben zu sein. Anscheinend musste man Sünden begehen, um in der heutigen Welt zu überleben. Es war unrecht, ein Geheimnis zu haben oder zu lügen; aber war es unrecht, Wort zu halten, ein Versprechen einzuhalten? Und wenn man es einmal aus einem besonderen Grund gebrochen hatte, war es in Ordnung, es noch einmal zu brechen?
Lustlos stand Katie auf und machte sich fertig, um nach Lower Head zum Einkaufen zu gehen. Arbeit und Pflicht, das waren die einzigen Konstanten in ihrem Leben. Alles andere war eine Falle, eine Täuschung, Verführung zum Verrat. Man konnte nur überleben, wenn man jegliche Freuden mied. Sie nahm ihr Portemonnaie und die Einkaufstasche und verzog beim Verlassen des Hauses das Gesicht, so einen furchtbaren Geschmack hatte sie im Mund.
Nachdem Banks und Hatchley ihre Taschen in die Zimmer gebracht hatten, gingen sie zum Mittagessen rüber ins White Rose. Wochenendtouristen, neugierig auf den nördlichen Teil von Swainshead, füllten den Pub, von den Stammgästen war allerdings niemand da. Glücklicherweise war Freddie Metcalfe zu beschäftigt für einen Plausch. Beide bestellten gepökeltes Schweinefleisch mit Pommes frites und ließen sich mit ihren Pints an einem Ecktisch nieder.
»Ich möchte, dass Sie sich nach dem Essen mit Richmond in Verbindung setzen«, sagte Banks. »Er soll überprüfen, ob jemand in Swainshead eine Beziehung zu Kanada hat, besonders zu Toronto. Ich weiß, das klingt nach einem Haufen Arbeit, aber sagen Sie ihm, er soll mit den Leuten anfangen, die wir bereits kennen: die Greenocks, Fletcher, die Colliers. Außerdem«, sagte Banks und senkte seine Stimme, »Freddie Metcalfe da drüben und auch Neil Fellowes.«
»Der Kerl, der die Leiche gefunden hat? Der ist doch aus Pontefract.«
»Spielt keine Rolle. Schließlich dachten wir auch erst, Allen wäre aus Kanada, erinnern Sie sich? Doch dann war er aus Leeds. Und wenn wir schon mal beim Thema sind, er soll auch den Schwager, Les Haines, überprüfen. Ich möchte wissen, ob er in den letzten paar Wochen in dieser Gegend unterwegs gewesen ist. Bitten Sie ihn, von allen so viel Hintergrundinformationen zu sammeln, wie er kriegen kann. Ich bin mir sicher, der Superintendent wird ihm ein paar Leute zur Seite stellen können. Und jemand soll bei Carter's und diesem Zeitungshändler vorbeischauen, um Greenocks Alibi zu checken. Sie sollen so genau wie möglich nach den Zeiten fragen.«
»Glauben Sie ihm nicht?«
Banks zuckte die Achseln. »Könnte sein, dass er die Wahrheit sagt. Könnte aber genauso gut sein, dass er zu einer günstigen Stelle an der Hauptstraße gefahren und von der anderen Seite ins Tal gelangt ist.«
Die kleine Kellnerin brachte ihr Essen, das sie schweigend zu sich nahmen. An der Bar konnten sie Freddie Metcalfe hören, der die Gäste mit Kostproben des typischen Yorkshire-Humors begeisterte, allesamt aus der Zeitschrift Dalesman geklaut. Am Nachbartisch unterhielten sich zwei ältere Frauen aus Lancashire über betrunkene Rüpel: »Die jungen Leute heutzutage werden erst nach ein paar Gläsern richtig selbstbewusst.«
Als sie aufgegessen hatten,
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