040 - Die Tochter der Hexe
mir! Ich zweifelte keinen Augenblick an der Macht, die sie über mich hatten. Die Erinnerung an die brennende Frau Kurtz wurde erschreckend lebendig in mir. Jeden Augenblick konnte mir dasselbe zustoßen.
Ich zitterte und hatte Mühe, mich festzuhalten. Mir war übel vor Angst. Aber ich bekämpfte die Unlustgefühle. Gisela durfte es nicht erfahren. Je weniger Angst sie hatte, desto besser war es.
Als ich schließlich die letzten Treppen hinabstieg, atmete ich ein wenig auf. Morgen würde ich so gut wie tot sein, hatte Bärmann gesagt. Warum morgen? Das war um fünf am Morgen gewesen. Er hatte also kaum den heutigen Tag gemeint. Er konnte auch nicht gewußt haben, daß Pesch heute mit ihm nach Bernheim fahren würde. Ein Mittelsmann wäre früher in Bernheim gewesen – nicht erst morgen. Vielleicht hatte er die Haare in einem Brief geschickt.
Ich überlegte, ob ich zur Post gehen sollte, um den Brief irgendwo abzufangen. Aber ich wußte weder, ob Bärmann überhaupt einen Absender angegeben hatte, noch, an wen er ihn adressiert hatte. An Elvira Tamil wahrscheinlich. Aber selbst wenn es tatsächlich noch eine Möglichkeit gab, den Brief irgendwie auf seinem Weg zu stoppen, wie sollte ich mit den Postbeamten klarkommen. Ich war weder der Absender, noch der Empfänger; auch kein naher Verwandter. Sollte ich sagen, daß sich in dem Brief meine Haare befanden, und daß jemand mich damit umbringen wollte?
Unmöglich! Das glaubten sie mir nicht einmal, wenn ich vor ihren Augen das Zeitliche segnete. Die Klapsmühle wäre mir gewiß.
Nein, ich konnte nur versuchen, den Brief in Bernheim abzufangen – wenn nötig mit Gewalt! Immerhin war ich ziemlich sicher, daß mir noch etwas Zeit blieb. Ich hatte meine Beherrschung fast wiedererlangt, als ich zu Gisela in den Wagen stieg.
Wir fuhren zum Buchgeschäft und erlebten eine unangenehme Überraschung. Jemand war hier gewesen und hatte alles gründlich durchwühlt. Er war offenbar in ziemlicher Eile, denn er hatte sich nicht mehr die Mühe gemacht, alles wieder in Ordnung zu bringen. Überall lagen die Bücher herum, wie sie von den Regalen genommen worden waren.
Wir starrten auf das Durcheinander.
„Wer kann das gewesen sein?“ flüsterte Gis.
„Keine Ahnung. Aber sicher nicht Peschs Männer und sicher nicht Bärmann. Vielleicht jemand aus diesem Klub , den deine Mutter erwähnt hat. Wenn mich nicht alles täuscht, haben sie das gleiche gesucht wie wir. Das Buch! Und sie scheinen es gefunden zu haben, sonst wären diese Regale dort drüben auch ausgeräumt.“
„Was tun wir jetzt?“ fragte sie.
„Nicht viel. Auf Wilma warten.“
Während wir warteten, ließ ich mir von Gisela einen Plan von Bernheim aufzeichnen, soweit sie sich erinnerte. Aber außer dem östlichen Teil längst der Einfahrtstraße waren nur Bruchstücke in ihrer Erinnerung haften geblieben. In den meisten Teilen des Ortes war sie zum letztenmal gewesen, als sie sieben oder acht Jahre alt war. Danach hatte die Feindseligkeit der Dorfbewohner sie von größeren Exkursionen abgehalten.
Immerhin bekam ich einen gewissen Überblick über den Verlauf des Moores und den Ort, wo Elvira Tamils Haus stehen mußte. Mit Booten über den Wasserteil des Moores war der kürzeste Weg dahin. Aber an die Boote würden wir wahrscheinlich nicht unbemerkt herankommen. Dann gab es noch einen zweiten, beschwerlicheren Weg über die Hügel. Das schwierigste dabei war das Orientierungsproblem in der Finsternis. Aber ich mußte es versuchen.
Ruhelos studierte ich die Karte immer wieder und wünschte, Kommissar Pesch wäre auf unserer Seite. Es gab Augenblicke, da fühlte ich mich verdammt hilflos. Ich war absolut nicht der Abenteurertyp und hatte keinerlei Übung darin, um mein Leben zu kämpfen. Und um Giselas noch dazu. Der Gedanke, was ihr geschehen würde, wenn ich es nicht schaffte, verursachte mir ein kaltes Kribbeln.
Wilma kam gegen sieben, als wir schon unruhig zu werden begannen. Vielleicht irrte ich mich, aber sie schien mir schwächer geworden zu sein – instabiler. Selbst ihre Stimme klang kraftloser. Sie selbst sagte, sie wäre müde und sehnte sich zurück.
Wir berichteten ihr alles, was wir inzwischen erfahren hatten. Danach meditierte sie eine Weile und sagte schließlich traurig: „Ich weiß nicht, welche Kräfte ich hier habe und wie ich sie anwenden kann. Ohne eine leitende Hand bin ich nur eine Tote.“
Er klang wie Hohn in meinen Ohren. Der Verbündete, von dem ich mir am meisten
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