040 - Paris, Stadt der Sünde
furchtbare Tragödie“, erklärte er feierlich. „Aber du warst ja schon als Kind ein tollkühner Wildfang. Und deine Trauermiene der letzten Tage kam mir sehr gelegen. Ich ließ gelegentlich im Gespräch durchblicken, dass du immer noch schrecklich unter einer unglücklichen Liebesaffäre leidest. Die alten Dienstboten habe ich zwar entlassen, aber ein paar von ihnen leben in der Nachbarschaft und erinnern sich an dich. Man wird entweder von einem tragischen Unfall sprechen oder von deinem Freitod aus Liebeskummer. Wie dem auch sei, ich werde der trauernde Hinterbliebene sein, der sein Unglück nicht fassen kann.“
„Ich könnte dich mit mir in die Tiefe reißen“, wandte sie mit dünner Stimme ein und spürte eine erste Regung von Zorn.
„Nein, meine Liebe, mach dir keine Hoffnung. Ich bin wesentlich stärker als du.“ Er tätschelte ihre eiskalte Hand. „Nun komm endlich, Elinor. Ich möchte zur Teestunde zu Hause sein.“
Wahnsinn, dachte sie. Es war der reine Wahnsinn. „Wenn du nicht mein Cousin bist, wer bist du dann?“, fragte sie.
Sein Grinsen machte ihn sehr hässlich. „Kannst du dir das nicht denken? Ich muss gestehen, ich hätte dich eigentlich nicht für so begriffsstutzig gehalten. Unsere Verwandtschaft ist wesentlich näher. Ich bin dein Halbbruder, ein Fehltritt deines Vaters. Und nach englischem Recht bin ich nicht erbberechtigt, während deiner Schwester mit ihrem unbekannten Vater wesentlich mehr Rechte zustehen als mir.
Diese schreiende Ungerechtigkeit kann ich nicht dulden, das wirst du doch einsehen.
Das Erbe unseres Vaters steht mir zu, nicht dir.“
Der Schock über seine Worte verlieh ihr die nötige Kraft, um sich loszureißen. „Du hast mich geheiratet !“, schrie sie und wich schaudernd zurück. „Du hast mich angefasst ...“
„Und ich hätte auch gern das Bett mit dir geteilt. Nun hab dich nicht so! Immerhin hast du auch die Beine für den verruchten Rohan breit gemacht. Nachdem du dich allerdings nach der Trauung ohne Zögern bereit erklärt hast, einen Spaziergang zu den Klippen mit mir zu machen, fand ich es ratsam, die Sache schnell hinter mich zu bringen.“ Sein Blick richtete sich über ihre Schulter, und er furchte die Stirn.
„Anscheinend bekommen wir Besuch. Wir müssen uns beeilen.“ Er näherte sich ihr wieder. Aber er hatte sie unterschätzt.
Plötzlich wollte sie nicht sterben. Nein, sie würde sich nicht von diesem widerlichen Erbschleicher töten lassen. Sie stand reglos, jeden Muskel angespannt, und in letzter Sekunde schlug sie ihm ihr Retikül gegen die Schläfe, in dem sich zwar nur ihre silberne Puderdose befand, aber der Überraschungsmoment kam ihr zu Hilfe.
Blitzschnell duckte sie sich unter seinem Arm hindurch und rannte um ihr Leben zurück zu den Klosterruinen. Dort gab es tausend Schlupfwinkel, wo sie sich verstecken konnte. Und im Laufen schickte sie Stoßgebete zum Himmel, dass er sie nicht vorher einholen würde.
Nie zuvor in seinem Leben hatte Francis Rohan solche Todesängste ausgestanden.
Damals nicht, als er mit siebzehn Vater und Bruder in die Schlacht gefolgt war, die in einem blutigen Massaker endete. Auch nicht, als er seinen sterbenden Bruder in den Armen hielt, den Blick hob und sah, wie ein Soldat des Schlächters Cumberland mit der Lanze auf ihn losstürmte.
Auch nicht während der endlos langen Nacht seiner Flucht über den Ärmelkanal, in der er zusammengekauert im Bug eines Fischerbootes ausharrte, wild entschlossen, nicht zu weinen und sich nicht einzunässen.
Charles und er waren ohne Rast im gestreckten Galopp die Südküste entlanggeritten.
Jacobs hatten sie in Dover zurückgelassen, nachdem er ihnen eine genaue Wegbeschreibung nach Dunnet und zum Herrenhaus gegeben hatte. Rohan hatte ihn nach Paris zurückgeschickt mit der Bitte, auf Lydia aufzupassen, und ihm bei seinem Leben geschworen, Miss Elinor wohlbehalten zurückzubringen.
In Dunnet sprachen die Freunde unverzüglich im Rathaus vor, nur um festzustellen, dass sie eine Stunde zu spät kamen. Die Trauung mit Marcus Harriman hatte bereits stattgefunden. Und das bedeutete, dass Elinor nicht mehr lange zu leben hatte ... oder, falls sie noch rechtzeitig kamen, bald Witwe sein würde.
Im Dorfgasthof sagte man ihnen, das glückliche Brautpaar wollte vor der Heimfahrt noch einen Spaziergang an den Klippen machen – wenn die Herren sich beeilten, könnten sie den Frischvermählten ihre Glückwünsche aussprechen. Rohan hatte sich aufs Pferd
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