040 - Paris, Stadt der Sünde
an den Spieltisch zu setzen, und sobald das weg war, wollte ihr niemand Kredit geben. Ich vermute, sie ist draußen in den Stallungen und versucht sich im Stroh ein paar Münzen zu verdienen.“
Elinor zuckte unwillkürlich zusammen, aus Scham über das Verhalten ihrer Mutter und vor Entsetzen wegen des Verlustes ihres letzten Geldes. Es war eine Katastrophe, sie standen vor dem Ruin. Aufgebracht versuchte sie, ihre Hände aus Rohans Griff zu befreien, der nur noch fester zupackte, bis sie aufhörte, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
„Ich bin sehr ungehalten, Justin“, erklärte er ruhig. „Ich schlage vor, Sie kleiden sich an, und wir treffen uns in ein paar Minuten im Vorzimmer.“
„Selbstverständlich, Monseigneur“, stammelte St. Philippe eingeschüchtert.
Rohan gab Elinors Handgelenke frei und legte einen Arm wie eine Eisenklammer um ihre Mitte. „Und ich entführe meinen Gast.“ Seine Stimme klang wieder normal. „Ich wünsche noch angenehme Unterhaltung.“
„Ich will nicht ...“, begann Elinor, doch er zog sie so heftig mit sich, dass ihr die Worte im Hals stecken blieben. Statt sie wieder durch die Räume zurückzuführen, befanden sie sich kurz darauf in einem engen Raum in völliger Dunkelheit und Stille. Endlich befreite er sie von der Augenbinde.
Sie standen in einem von Wandfackeln schwach erhellten Korridor. Rohan berührte sie nicht mehr, und Elinor konnte endlich wieder frei atmen. „Das Problem ist gelöst“, sagte er. „Ihre Mutter ist also hier. Man wird sie bald finden, meine Diener kümmern sich darum. Ich bringe Sie an einen Ort, wo Sie auf sie warten können.“
Sie blickte zweifelnd zu ihm auf. „Ich könnte sie zusammen mit den Dienern suchen ...“
„Nein, könnten Sie nicht. Sie haben doch St. Philippes Worte gehört. Wer weiß, in welcher Verfassung sie ist. Ich hoffe nur, dass sie nicht die halbe Dienerschaft ansteckt – heutzutage findet man nicht leicht einen guten Kutscher.“
Elinor holte hörbar Luft. „Das ist doch absurd!“
„Ihre Mutter hat Syphilis, die französische Krankheit, Kind. Oder wie die Franzosen sie zu nennen pflegen, die spanische Krankheit.“ Er zuckte mit den Achseln.
„Meinetwegen auch die englische Krankheit. Sie wird in geistiger Umnachtung sterben, das wissen Sie so gut wie ich. Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen einen Gefallen tun und sie über die nächste Seinebrücke werfen lassen.“
„Über derlei Dinge Witze zu machen ist ausgesprochen geschmacklos“, entgegnete sie spitz.
„Wieso sollte ich Witze darüber machen?“
In dem schwach erleuchteten Flur konnte sie sein Gesicht kaum sehen. In dieser Enge wirkte er noch größer, und sie war sich peinlich bewusst, dass sein offenes weißes Batisthemd seine Brust entblößte. Nein, dieser Mensch machte keine Witze.
„Es war ein Irrtum, Sie für verantwortungsvoll zu halten“, sagte sie verächtlich.
„Du meine Güte, ein unverzeihlicher Irrtum. Ich bringe Sie in ein abgeschiedenes Zimmer. Es mag Sie trösten zu hören, dass meine überaus englische Haushälterin sich um Ihr Wohl kümmern wird.“ Er bot ihr den Arm, aber sie rührte sich nicht von der Stelle, wollte ihn nicht wieder berühren. Durch den dünnen Stoff konnte sie seine sehnige Kraft, seine Körperwärme deutlich spüren. Seine Nähe verstörte sie – sie war nicht daran gewöhnt, Männer zu berühren, schon gar nicht in dieser intimen Weise.
„Wenn Sie meinen Arm nicht nehmen, stürzen Sie womöglich und brechen sich ein Bein. Und was wird dann aus Ihrer Mutter?“, stellte er fest. „Dieser Flur ist ein Geheimgang zum privaten Flügel des Châteaus und wird nur selten benutzt.
Möglicherweise gibt es hier sogar Ratten.“
Instinktiv suchte sie seinen Halt, wäre ihm vor Schreck beinahe in die Arme gesprungen. Vor Ratten verspürte sie abgrundtiefe Angst, was sich auch in den armseligen Elendsvierteln, wo es nur so von den Tieren wimmelte, nicht gebessert hatte. „Schnell, weg von hier“, flüsterte sie schaudernd.
„Sie haben wohl nichts für Ratten übrig“, bemerkte er blasiert und führte sie den Flur entlang.
Elinor hatte die grauenhafte Vorstellung, wie ihr die widerlichen Nager unter die Röcke krochen. „Richtig, aber wer mag schon Ratten?“, entgegnete sie verkrampft.
„Ich denke allerdings, dahinter steckt mehr. Ratten gehören doch zum Leben, aber Sie ...“
„Können wir bitte das Thema wechseln?“, unterbrach sie ihn und bemühte sich nicht mehr, ihren Widerwillen zu
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