040 - Paris, Stadt der Sünde
überlassen. Es sei denn, Sie wünschen eine weitere Lektion. Nein? Das dachte ich mir. Vor mir liegen noch zwei Tage und Nächte ausschweifender Lustbarkeiten, und in meinem fortgeschrittenen Alter muss ich mit meinen Kräften haushalten.“ Er lächelte sie mit engelsgleicher Unschuld an. „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, meine Kleine?“
Mit großer Mühe gelang es ihr, sich wieder zu fassen, und sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick tiefsten Abscheus. „Wenn Sie schlafen, hören Sie endlich auf zu reden, und das wäre ein Segen“, fauchte sie feindselig. „In Ihrem fortgeschrittenen Alter haben Sie etwas Schlaf bitter nötig.“
Es entstand ein lastendes Schweigen in der Kutsche. „Meine liebe Miss Harriman, wenn Sie mich weiterhin amüsieren, fällt es mir extrem schwer, meine Hände von Ihnen zu lassen. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die mich nicht langweilen, und wenn ich gelegentlich unterhaltsamen Zeitgenossen begegne, neige ich dazu, ausgesprochen besitzergreifend zu sein.“
„Dann werde ich eben schnarchen“, erwiderte sie und kniff die Augen zusammen.
Sie hörte ihn lachen. Ein sündiges Lachen, leise und melodisch und für viele Frauen gewiss unwiderstehlich. Aber sie war nicht wie viele Frauen. Ihr Körper bebte immer noch unter den Nachwirkungen dessen, was er ... was sie gemeinsam getan hatten.
Sie verschränkte die Hände in den Falten des Pelzmantels und starrte aus dem Wagenfenster.
Es war der Lärm, der sie weckte. Die Kutsche holperte ratternd über Kopfsteinpflaster der Großstadtstraßen. Elinor schlug die Augen auf und begegnete seinem Blick.
„Schon wieder haben Sie mit mir geschlafen, Miss Harriman“, sagte er. „Einmal mag von einer sittenstrengen Gesellschaft verziehen werden. Zweimal sprengt entschieden die Grenzen der Schicklichkeit. Ich finde, Sie sollten Ihre prüde Haltung aufgeben und mit mir zum Château zurückkehren. Oder in mein Stadthaus. Es ist sehr weitläufig, und man kann stundenlang darin herumwandern, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Wir könnten uns tagelang im Bett amüsieren ...“
„Hören Sie auf, mich zu langweilen, Monsieur le Comte“, unterbrach sie ihn schneidend, während die letzten Spuren schläfriger Benommenheit von ihr abfielen.
Wie konnte sie nur in seiner Gegenwart eingeschlafen sein? Noch dazu nach allem, was er ihr angetan hatte? Wie konnte sie nur so leichtfertig sein? Sie straffte die Schultern. „Es ist nicht mehr weit bis zu unserem Haus, und Ihre Kutsche ist zu breit für die engen Gassen. Lassen Sie mich hier aussteigen, und ich gehe das letzte Stück zu Fuß. Mrs Clarke wird es Ihnen gewiss verzeihen.“
„Mein liebes Kind“, sagte er. „Ich denke nicht daran, Sie in Ihren Gewissensnöten allein zu lassen. Im Übrigen treibt mich die Neugier, herauszufinden, was Sie so verzweifelt vor mir zu verbergen suchen. Einen Liebhaber, der bei Ihnen wohnt?
Vielleicht betreiben Sie ein Bordell, und Ihre Mutter ist eine Ihrer einträglichsten Huren? Nein, das erscheint mir zu abwegig. Aber in Ihrem Haus gibt es mit Sicherheit etwas, das Sie vor mir verheimlichen, und ich vermute, es handelt sich um ihre ungewöhnlich schöne und keineswegs verstorbene Schwester. Sie müssen wissen, meine Neugier ist, wie all meine Gelüste, unersättlich.“
„Ich bin nicht ...“ Elinor schlug sich die Hand vor den Mund und beugte sich vor.
„Lassen Sie anhalten!“, befahl sie mit erstickter Stimme.
Ihr Begleiter machte keine Anstalten. „Ist Ihnen nicht gut? Sie sind ein wenig blass um die Nase.“
„Mir ist schlecht. Wenn Sie nicht anhalten und mich aussteigen lassen, entleere ich meinen Mageninhalt auf Ihre kostbaren Samtpolster!“, stieß sie erstickt hervor.
„Das wäre zwar jammerschade, aber der Wagen kann gereinigt werden. Dafür habe ich Bedienstete.“
Sie blickte zu ihm auf, die Hand immer noch vor den Mund gepresst. „Wollen Sie in einer geschlossenen Kutsche mit übelriechendem Erbrochenen zum Château zurückfahren?“
„Ein stichhaltiges Argument.“ Er klopfte gegen die Wandverkleidung, das Fahrzeug kam jäh zum Halten, und Elinor wurde nach vorne geschleudert.
Sie fand gerade noch rechtzeitig Halt, bevor sie in seinen Armen landete. Hastig schlüpfte sie aus den Ärmeln des Pelzmantels, dessen Knöpfe er irgendwann während seines sündigen Spiels geöffnet hatte, tastete verzweifelt nach dem Türgriff, stieß den Wagenschlag auf und fiel dem Kutscher, der das Treppchen heruntergelassen
Weitere Kostenlose Bücher