040 - Paris, Stadt der Sünde
Er nahm Lydias Hand und hauchte einen formvollendeten Kuss darauf, den Lydia geschmeichelt entgegennahm. Und Elinor hoffte inständig, dass diesem Mr Reading die Wärme in ihren Augen entging.
„Ich sehe rasch nach unserer Mutter“, sagte Elinor. „Der gesegneten Stille im Schlafzimmer entnehme ich, dass wir Ihre großzügige Hilfe nicht mehr brauchen.“
Sie wandte sich zum Gehen und versuchte, ihr Frösteln zu verbergen. Die Glut im Ofen war heruntergebrannt, und sie hatte keine Ahnung, wie sie an Brennholz gelangen sollten. Aber zunächst galt es, den Mann loszuwerden, der viel zu dicht neben ihrer Schwester stand. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die beiden einen kurzen Moment allein zu lassen, um nach Lady Caroline zu sehen, aber danach würde sie ihn kurzerhand verabschieden.
Im Flur standen zwei von Rohans livrierten Lakaien, die ihr mit einer höflichen Verneigung Platz machten. Sie öffnete die Tür zur Schlafkammer, wo Nanny am Lager ihrer Mutter saß.
Im fahlen Licht des Wintermorgens lag Lady Caroline reglos in den Kissen. „Sie hat sich nicht bewegt, seit die Männer sie gebracht haben, die Ärmste“, sagte Nanny bekümmert. „Ich habe sie gewaschen und zugedeckt und dem Gentleman gesagt, er kann getrost gehen. Ihre bedauernswerte Mutter wird tagelang das Bett hüten müssen.“ Sie warf einen traurigen Blick auf ihren Schützling. „Wenn sie je wieder auf die Beine kommt.“
Elinor beugte sich über ihre Mutter. Ihr Gesicht war bläulich verfärbt mit tiefen dunklen Ringen unter den Augen. Aber wenigstens war sie friedlich. „Hat sie etwas gegessen?“
Elinor wusste ebenso wie Nanny Maude, wie gähnend leer die Speisekammer war.
„Ein paar Löffel Haferbrei und etwas dünnen Tee. Aber das meiste hat sie wieder ausgespuckt.“
Dabei konnten sie es sich nicht leisten, das wenige, was sie hatten, zu vergeuden.
„Ich schicke unsere Besucher fort, und dann wird Lydia bei ihr Wache halten“, sagte Elinor.
„Wie soll es nur weitergehen, Miss Nell?“, jammerte Nanny. „Ich habe Jacobs losgeschickt, um etwas Essbares zu besorgen. Ich weiß nicht mehr, was ich kochen soll. Wir haben auch kein Brennholz mehr, es sei denn, wir zerhacken das Bett.“
Elinor hätte am liebsten die Hände vors Gesicht geschlagen und einfach nur geschrien, aber ihrer gefassten Miene war davon nichts anzumerken. Es lag an ihr, sich um Essen und Holz zu kümmern, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie es anstellen sollte.
Sie konnte sich nicht einmal für Geld auf der Straße anbieten. In Paris gab es massenweise schöne Huren. Sie würde kaum genug verdienen, um ihre Familie satt zu bekommen.
Jacobs könnte die Stiefel und Seidenstrümpfe verkaufen. Sie verfluchte ihren dummen Stolz, den Pelzmantel zurückgelassen zu haben. Mit dem Erlös hätten sie sich mindestens einen Monat satt essen können.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, als noch einmal bei dem Rechtsanwalt vorzusprechen und ihren unbekannten Cousin anzubetteln. Lärm erklang hinter der geschlossenen Tür, und Elinor atmete erleichtert auf. Die ungebetenen Besucher gingen endlich. Sie hörte schwere Stiefelschritte und die Haustür, die in den Angeln quietschte und ins Schloss fiel. „Ich muss mit Jacobs reden“, sagte sie halblaut zu sich selbst. „Ein paar Möglichkeiten bleiben uns noch.“
Elinor stieß die Tür zur Wohnstube auf. „Lydia, Liebes, könntest du ...“ Ihre Stimme erstarb. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren eingetroffen. Der narbige Gentleman stand mit verschlossener Miene abseits. Und Francis Rohan, der Fürst der Finsternis, der Satan persönlich, stand vor ihrer Schwester und hielt Lydias zarte bleiche Hand in seiner.
7. KAPITEL
Miss Harriman war offenkundig nicht erfreut, ihn so rasch wiederzusehen, dennoch schenkte Francis Rohan ihr ein charmantes Lächeln. „Sie vergaßen, auf mich zu warten, Miss Harriman. Es kostete mich einige Mühe, Sie einzuholen.“
Das Entsetzen in ihren Augen entging ihm nicht, das augenblicklich wich und dieser gespielt kühlen Gelassenheit Platz machte, die ihn so sehr reizte und faszinierte. „Es wäre nicht nötig gewesen, sich die Mühe zu machen, Monsieur le Comte. Ich kenne mich in dieser Gegend gut aus, und niemand würde es wagen, mir zu nahe zu treten.“
„Das erstaunt mich keineswegs. Sie würden selbst den König in Angst und Schrecken versetzen. Aber Sie haben versehentlich Ihren Mantel zurückgelassen, und bei all meinen Lastern habe ich untadelige
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