040 - Paris, Stadt der Sünde
kann nur vermuten, dass Sie unter den gleichen Krankheitssymptomen leiden wie meine Mutter. Das ist zwar bedauerlich, allerdings die verdiente Strafe für ein lasterhaftes Leben, wenn Sie hinter jedem Weiberrock her sind.“
„Sie überschätzen meine Manneskraft und meinen Leichtsinn erheblich. Ich achte nämlich penibel darauf, mich nicht mit geschlechtskranken Weibern einzulassen.“
Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie wusste, welche Praktiken lüsterne Männer anwandten, um sich Befriedigung zu verschaffen, ohne eine Krankheit befürchten zu müssen, zwang sich jedoch, ihre gleichmütige Miene beizubehalten. „Freut mich zu hören.
Dann dürfte ja ein langes glückliches Leben in Ausschweifung vor Ihnen liegen. Ich hingegen habe nicht die Absicht, mich daran zu beteiligen.“
„Meine Teuerste, das würde ich niemals von Ihnen verlangen. Ich bitte Sie lediglich um einen keuschen Kuss. Ist das zu viel verlangt? Nun seien Sie nicht so zimperlich.
Sie tun ja geradeso, als würde ich meinen Hosenstall öffnen und von Ihnen verlangen, mich zu ergötzen.“
Sie müsste über seine vulgären Worte entsetzt sein, aber sie wusste ja, wovon er sprach. Diese Form erotischer Dienstleistung war in der Gosse ebenso gebräuchlich wie in vornehmen Boudoirs.
„Ist ein harmloser Kuss wirklich zu viel verlangt? Danach bringt mein Kutscher Sie wohlbehalten nach Hause, und wir vergessen den Unsinn, dass Sie meine Geschenke nicht behalten wollen.“
Es war ihr nicht möglich, sich ihm zu entziehen, jedenfalls nicht ohne einen würdelosen Kampf. Und etwas in ihr wollte auch nicht fliehen. Etwas Wildes, Verwegenes, das sie stets verleugnet und in einen tiefen Winkel ihres Bewusstseins verbannt hatte, schrie nach Freiheit. „Wenn Sie mich wirklich küssen wollten, würden Sie sich vom Sofa erheben.“
„Aber ich habe kein Interesse daran, Sie zu küssen, wenigstens nicht im Moment.
Wobei ich nicht behaupte, das könnte sich nicht ändern. Aber im Augenblick möchte ich nur herausfinden, was geschieht, wenn Sie mich küssen. Ich vermute, Ihre Unberührtheit bezieht sich nur auf Ihre unteren Körperpartien. Küssen Sie mich, und ich lasse Sie gehen.“
Sie blickte starr in sein verworfen schönes Gesicht und hasste ihn. Sie hasste ihn aus tausend Gründen, von denen die meisten allerdings nichts mit ihm zu tun hatten. Sie hasste ihn, weil sie ihn küssen wollte, weil sie die Berührung seiner bleichen schönen Hände spüren wollte, weil sie sich nach den wilden sündigen Dingen sehnte, von denen er gesprochen hatte. Aber das waren nichts als falsche Versprechungen.
Sie hatte genug von ihm, von allen Männern. Und mit einem plötzlichen Ruck riss sie sich los, fiel hintenüber und raffte sich unbeholfen auf die Füße.
An der Tür holte er sie ein, bewegte sich mit einer Geschmeidigkeit, die sie ihm nicht zugetraut hätte. Er fasste sie an den Schultern, wirbelte sie herum und presste ihren Rücken gegen die Türfüllung. „Ich sagte doch, ich lasse Sie nicht ohne einen Kuss gehen“, raunte er. „Glauben Sie mir, es ist gar nicht so schwierig. Ich zeige es Ihnen.“
Und sein Mund legte sich auf den ihren.
Sie erschrak über die Intimität, die sie nie zuvor verspürt hatte. Sein offener Mund an ihren Lippen forderte eine Erwiderung, die sie nicht zu geben wusste. Eine Berührung, die nichts mit einem scheuen ersten Kuss zu tun hatte, von dem sie früher einmal geträumt hatte. Dieser Kuss schmeckte nach Verlangen und dunkler Wollust, und zum ersten Mal begann sie zu ahnen, aus welchem Grund solche Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden.
Er hob den Kopf und sah sie an, und sie geriet in den Bann seiner blauen Augen, halb verborgen unter ungewöhnlich langen Wimpern. „Das haben Sie leidlich gut überstanden, meine Süße. Und nun küssen Sie mich. Ich weiß, dass Sie nicht zum ersten Mal geküsst wurden. Es ist längst nicht so grässlich wie der Verlust der Unschuld. Ich will den Kuss einer Jungfrau kosten.“
Sie erstarrte, immer noch von seinem kraftvollen sehnigen Körper gegen die Tür gepresst. „Ich entspreche Ihren Ansprüchen nicht“, sagte sie scharf. „Sie müssen sich anderweitig umsehen.“
„Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie noch nie geküsst wurden – das glaube ich einfach nicht. In Paris laufen doch nicht nur dumme Männer herum.“
„Die Welt ist voll von dummen Männern. Und ja, ich bin schon einmal geküsst worden.“
Sein verdutztes Gesicht hätte ihr gefallen, wenn sie es in ihrer
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