040 - Paris, Stadt der Sünde
Hände weg. „Ich habe mich nur gestoßen. Ein Missgeschick. Ich brauche keinen Doktor, einen frischen Verband kannst auch du anlegen. Aber zunächst bringst du der jungen Dame im Salon eine Decke.“
Georges machte ein verdutztes Gesicht. „Eine junge Dame? Im Salon? Sie wollen sie nicht bei sich haben?“
Rohan gestattete sich ein dünnes Lächeln. „Ich fürchte, die junge Dame hätte etwas dagegen. Sie schläft bereits. Achte darauf, sie nicht zu wecken. Bring ihr die Seidendecke. Ich versuche mich dieser blutigen Sachen zu entledigen, und dann kannst du mir helfen.“
„Aber Mylord ...“
Er zog eine Braue hoch. „Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?“
Georges erbleichte verängstigt wie alle seine Untergebenen. Aus gutem Grund. Er war kein freundlicher Mensch.
„Weck sie bloß nicht auf“, wiederholte er. „Sonst kannst du was erleben.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Der Kammerdiener nahm die Seidendecke vom frisch gemachten Bett und verschwand lautlos. Im nächsten Moment erschien er wieder.
„Sie ist fort, Mylord“, sagte er mit zitternder Stimme.
Rohan stürmte an ihm vorbei in den angrenzenden Salon. Aber Georges hatte die Wahrheit gesagt. Sie war fort. Er eilte ans Fenster, in der Hoffnung, sie die Straße entlanglaufen zu sehen, als seien die Hunde der Hölle hinter ihr her. Nichts.
„Wecke die Dienerschaft, und sucht sie“, befahl er scharf. „Wenn sie nicht im Haus ist, schicke ihr einen Burschen hinterher, der aufpasst, dass sie wohlbehalten nach Hause kommt.“
„Soll er sie zurückbringen, Mylord?“
Rohan schüttelte den Kopf. „Das kann warten“, meinte er leichthin. „Hinterher kleidest du mich an. Ich werde ausgehen. Mir ist heute Nacht nach Gesellschaft zumute. Nach weiblicher Gesellschaft.“
„Sehr wohl, Mylord.“
Jede wäre ihm recht. Er hätte wissen müssen, dass ihr so dringend benötigter Schlaf gespielt war. Diese Miss Harriman entpuppte sich doch tatsächlich als talentierte Schauspielerin. Entweder hatte sie vorgegeben zu schlafen oder war aufgewacht, als er sie aufs Sofa bettete, und hatte es schlauerweise nicht zu erkennen gegeben. Und als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, hatte sie die Gelegenheit zur Flucht ergriffen.
Er wollte sie im Glauben lassen, ihm entkommen zu sein. Vorübergehend. In den nächsten Wochen wäre er ohnehin mit den Vorbereitungen der Frühlingsorgien beschäftigt. Im Moment sollte sie sich getrost in Sicherheit wiegen.
Zu später Stunde kam Elinor endlich durchfroren und erschöpft nach Hause. Das Feuer in der Wohnstube war zur Glut heruntergebrannt, die einen rötlichen Schein verbreitete. In letzter Zeit hatten sie und ihre Schwester auf Strohsäcken vor dem Ofen geschlafen, aber Lydia war nirgends zu sehen. Sie schlich auf Zehenspitzen den schmalen Flur entlang. Die winzige Kammer am Ende des Flurs, in der sich nie etwas anders befunden hatte als eine dicke Staubschicht und Spinnweben, war sauber gefegt. Nun standen ein Bett und ein Waschtisch darin. Und im Bett unter warmen Decken schlief Lydia tief und fest.
Es war ein endlos langer Tag gewesen. Kaum zu glauben, dass erst vierundzwanzig Stunden vergangen waren, seit sie dem Fürsten den Finsternis zum ersten Mal begegnet war. Vierundzwanzig seltsam verstörende Stunden.
Sie schlich zurück in die Wohnstube, in der nun ein Sofa stand, das sie zu sehr an die Couch im Salon des Comtes erinnerte, auf der er so malerisch hingegossen posiert hatte. Sie zog es vor, sich auf dem nackten Dielenboden vor dem Feuer zusammenzurollen.
Und dann zwang sie sich, ihre Erinnerungen zuzulassen.
11. KAPITEL
Mit siebzehn hatte Elinor noch darauf vertraut, auch sie habe Anspruch auf ein glückliches Leben, trotz der Harriman-Nase. Sie war jung, ungestüm und voller Hoffnungen. Schon damals war das Familienvermögen im Schwinden begriffen, sie wohnten in einem baufälligen alten Haus am Rande der Stadt, und Lady Caroline hatte seit Monaten keinen ständigen Begleiter.
Elinor war es lieber so. Die Männer, die kamen und gingen, behandelten ihre Mutter mit einer Vertraulichkeit, die ihr zuwider war, und diese Vertraulichkeit übertrugen die Galane auch auf ihre Töchter. Obwohl Lady Caroline in keiner festen Liaison stand, ging sie häufig aus, um zu spielen und zu trinken. Aber es gab auch Abende, die sie zu Hause verbrachte, an denen sie allerdings mürrisch war und ihre schlechte Laune an Elinor ausließ, während Lydia, die sie vergötterte, stets von ihrer
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