040 - Paris, Stadt der Sünde
liebsten unsichtbar gemacht hätte.
Der Nachmittag schien kein Ende zu nehmen. Der alte Mann schlürfte seinen Tee geräuschvoll, bröselte Butterkekse über sein Spitzenjabot und redete mit vollem Mund. Bei dem Gedanken, dass ihre Mutter mit diesem Fettwanst das Bett teilte, stieg Übelkeit in Elinor hoch. Sie war nicht so naiv, um nicht zu wissen, was Lady Caroline mit ihren Begleitern trieb, auch wenn ihr die Einzelheiten damals noch nicht bekannt waren.
Irgendwann erhob Sir Christopher Spatts sich. „Geht in Ordnung“, schnaufte er mit einem knappen Nicken. „Ich bezahle den Preis.“ Sein wässriger Blick flog durchs Zimmer. „Die andere wäre mir lieber. Dafür bezahle ich den doppelten Preis.“
„Nein, Sir Christopher“, entgegnete ihre Mutter würdevoll. „Sie kennen meine Antwort.“
Er nickte wieder, und seine Perücke verrutschte ein wenig. Kein Kammerdiener, der etwas auf sich hielt, würde seinen Herrn mit verrutschter Perücke aus dem Haus gehen lassen. Elinor verkniff sich ein schadenfrohes Schmunzeln.
„Ich erwarte, dass Sie sich an die Bedingungen unserer Abmachung halten“, erklärte er sichtlich ungehalten.
„Selbstverständlich, Sir Christopher. Sie haben mein Ehrenwort.“
Er bedachte Elinor mit einem letzten prüfenden Blick, räusperte sich und entfernte sich in einer Wolke schwülen Parfums.
„Geh in dein Zimmer, Lydia, Schätzchen“, hatte ihre Mutter gesagt, nachdem der Besucher gegangen war. „Ich muss mit deiner Schwester reden. Und du auch, altes Weib“, fügte sie mit einem Kopfnicken in Nanny Maudes Richtung hinzu.
So etwas geschah nicht oft, aber Elinor war nicht dumm. Sie wusste, worum es ging, obwohl es nicht ausgesprochen worden war: Ihre Mutter hatte eine Ehe für sie arrangiert.
Sie hatte befürchtet, dass so etwas geschehen würde, früher oder später. Natürlich wusste sie, dass sie kaum Chancen hatte, einen jungen, gut aussehenden Ehemann zu finden. Lydias junger Musiklehrer hatte sie keines Blickes gewürdigt, während Elinor vor Sehnsucht nach einem Lächeln von ihm beinahe vergangen war. Er war ein armer Schlucker, und die Möglichkeit einer Ehe mit ihm hätte vielleicht bestanden, aber der junge Mann hatte nur Augen für Lydia.
Eigentlich müsste sie dankbar sein. Nicht im Traum hätte sie gedacht, einen Adeligen zu heiraten, und Sir Christopher war überdies noch vermögend. Wenn sie Glück hatte, wäre er ihr untreu und würde nicht allzu oft zudringlich werden.
Sobald sie allein waren, wandte sich Lady Caroline ihr zu und wirkte plötzlich ein wenig gehemmt, beinahe schuldbewusst, und Elinor empfand Mitleid.
„Mach dir keine Sorgen, Mama“, sagte sie tapfer. „Ich weiß, was du vorhast.“
„Wirklich?“
„Natürlich. Du hast eine Heirat mit Sir Christopher für mich arrangiert. Und ich weiß, was meine Pflicht ist. Ich habe ohnehin keine große Auswahl und sollte dir dankbar sein.“
„Nun, das entspricht nicht ganz den Tatsachen“, meinte ihre Mutter ausweichend und wandte sich ab, um ihrem Blick nicht zu begegnen.
Elinor wollte sich ihre Erleichterung über ihre Worte nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. In Wahrheit würde sie lieber als alte Jungfer enden, als einen Fettwanst wie Sir Christopher zu heiraten, aber für Lydia hätte sie dieses Opfer gebracht.
„Worum ging es dann?“
Ihre Mutter trat ans Fenster, im vollen Bewusstsein des anmutigen Bildes, das sie abgab. „Setz dich, Elinor.“
Elinor gehorchte.
„Wir befinden uns momentan in einem finanziellen Engpass“, begann Lady Caroline, drehte sich um und setzte sich auf den Stuhl Elinor gegenüber, ohne ihr ins Gesicht zu sehen. „Und wir brauchen deine Hilfe. Für deine Schwester würdest du doch alles tun, nicht wahr?“
„Selbstverständlich“, antwortete Elinor. „Keine Frage.“
Ihre Mutter lächelte verkrampft. „Ich hoffte, dass du das sagen wirst. Du bist ein artiges Mädchen, Elinor. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.“
Elinor atmete tief. Sie hatte oft genug die Erfahrung gemacht, dass ihre Mutter kein aufrichtiger Mensch war. Und die Art, wie sie jetzt um den heißen Brei herumredete, machte sie beklommen.
„Natürlich, Mama“, sagte sie bang. „Was willst du mir eigentlich sagen?“
Lady Caroline zögerte. „Sir Christopher hat etwas eigenartige ... Vorlieben. Du weißt über männliche Neigungen Bescheid, nicht wahr?“
Elinor nickte, ohne zu wissen, worauf sie hinauswollte.
„Nun ja, Sir Christopher hat große Angst,
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