040 - Paris, Stadt der Sünde
ätzenden Kritik verschont blieb.
Doch immer wieder geschah es auch, dass ihre Mutter heiter und beschwingt war und jeden Raum, den sie betrat, mit ihrer Fröhlichkeit erhellte. Und dies war so ein Tag. Sie war von einem Nachmittagsbesuch nach Hause gekehrt, hatte die kleine Lydia an den Händen gefasst, tanzte mit ihr lachend durchs Wohnzimmer, und Elinor stand lächelnd daneben. Ihre Mutter konnte jeden mit ihrem Charme verzaubern.
Damals vor sechs Jahren, als Elinor siebzehn und Lydia elf war, hatten sich bei Lady Caroline noch keine Symptome ihres schrecklichen Leidens eingestellt.
„Ich habe den wunderbarsten Mann auf der ganzen Welt kennengelernt“, schwärmte sie, und Elinor strahlte vor Glück. „Er ist etwas älter und sagenhaft reich.
Meine Freundin Solange erzählte mir, er habe sich nach mir erkundigt, und sie arrangierte ein Treffen mit ihm in ihrem Haus. Und ich sage euch, Kinder, es hat sofort zwischen uns gefunkt! Er hat mich für heute Abend in sein Haus eingeladen, und wenn unser Glück anhält, werden wir bald dort einziehen und diese kleinbürgerliche Bruchbude für immer verlassen.“
Diese kleinbürgerliche Bruchbude war ein Palast verglichen mit der Hütte, in der sie jetzt hausten.
„Sieht er auch gut aus, Mama?“, hatte Lydia gefragt.
„Auf gutes Aussehen kommt es bei einem Mann nicht an“, hatte sie leichthin geantwortet. „Es ist die innere Schönheit, die zählt.“ Und Elinor hatte noch mehr gestrahlt. Selbst wenn ihre Mutter sie ständig herabsetzte und kränkte, liebte Elinor sie von ganzem Herzen. Und sie nahm sich vor, sich noch mehr Mühe zu geben, eine gute Tochter zu sein, damit ihre Mutter eines Tages ebenso stolz auf ihr hässliches Kind war wie auf ihr hübsches.
„Wer ist der Auserwählte, Mama?“, hatte sie gefragt.
„Ein Aristokrat und sagenhaft reich. Habe ich das noch nicht erwähnt? Sir Christopher Spatts. Ist das nicht ein schöner Name? So überaus englisch. Er lebt natürlich in London, und ich denke, es ist genügend Zeit verstrichen, dass ich wieder zurückkehren kann. Die schlimmsten Moralapostel werden zwar die Nase rümpfen und uns nicht empfangen, aber die meisten Leute werden die leidige Sache vergessen haben. Es passieren doch ständig neue Skandale. Wäre es nicht himmlisch, wieder in England zu leben? Du könntest wieder reiten, Elinor.
Christopher unterhält in Paris zwar keinen eigenen Stall, aber wenn wir in sein Haus ziehen, kann ich ihn vielleicht überreden, ein Pferd für dich anzuschaffen.“ Sie wirbelte durchs Zimmer, und ihre Seidenröcke schwangen über ihrer Krinoline, ihr schönes Gesicht strahlte vor Glück. „Vielleicht kann ich sogar auf eine Heirat hoffen.
Er ist nur ein Ritter, nicht einmal Baronet oder Viscount, also stünde einer Heirat nichts im Wege. Ich hätte nichts dagegen, noch einmal ein Brautkleid zu tragen.“
„Sie zäumen das Pferd beim Schwanz auf“, meldete Nanny Maude sich finster zu Wort, die einzige Person, die es wagte, Lady Caroline die Wahrheit zu sagen.
„Papperlapapp!“ Sie lachte ihr glockenhelles Lachen. „Es wird alles gut.“
Sie sollte sich irren, wie so häufig. Im Rückblick auf jenen Tag glaubte Elinor, ihre Mutter damals zum letzten Mal wirklich glücklich gesehen zu haben. Sie schwelgte wieder einmal in einer ihrer verstiegenen Fantasien, die kaum etwas mit der Realität zu tun hatten, aber ihre Begeisterung hatte das ganze Haus mit Freude erfüllt.
An jenem Abend war Lady Caroline ausgegangen, geschmückt mit den Harriman-Smaragden, die sie bei ihrer Flucht aus England an sich genommen hatte, den Familienschmuck, der Elinor einst zugedacht war, und blieb zwei Wochen verschwunden. In dieser Zeit hatte Elinor gelernt, selbstständig Verantwortung zu tragen, und war mit der Aufgabe leidlich gut zurechtgekommen. Damals besaßen sie noch Geld, waren kreditwürdig und hatten Hoffnung auf eine sorgenfreie Zukunft.
Bis Lady Caroline nach Hause kam.
Ihr Teint war fahl, sie hatte tiefe Ringe unter den Augen, trug zwar neue kostbare Kleider und einen eleganten Hut, aber die Juwelen fehlten. Sie rauschte ins Wohnzimmer, ließ sich in einen Sessel fallen und erklärte, völlig erschöpft zu sein.
„Wo ist dein Schmuck, Mama?“, platzte Elinor heraus. Die Edelsteine waren nicht nur ihr als Erbe zugedacht, sie waren auch der einzige wertvolle Besitz der kleinen Familie, der in Notzeiten zum Pfandleiher gebracht werden konnte.
„Was bist du nur für ein kleinlicher Geizkragen,
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