0401 - Das Vampir-Internat
Nachdem ihre Worte nichts bewirkt hatten, nahm sie einen Zeigestock und schlug damit heftig auf das Pult. Sofort wurde es ruhiger.
»Ich möchte, dass ihr jetzt still seid. Es wird sich alles aufklären, und sicherlich in eurem Sinne.«
»Mal sehen«, meldete sich einer aus der letzten Reihe. »Sonst holen wir den Boss.«
»Den Mirror?« fragte ein Mädchen.
Andere lachten. Miss Deylen schlug noch einmal mit dem Stock auf das Pult. Endlich wurde es still.
Ich hatte mir in der Zwischenzeit die Gesichter der Schüler genau angesehen und bei ihnen keine Veränderung erlebt. Glatt und ausdruckslos waren sie. So wie immer. Nichts in ihnen wies darauf hin, dass es sich bei diesen jungen Menschen um Vampire handelte. Es waren normale Schüler, aber ich wusste auch, dass wir keinen Traum erlebt hatten und die Vorgänge in der letzten Nacht verdammt real gewesen waren.
Vampire sind Geschöpfe der Nacht. Am Tag ruhen sie. Erst nach Einbruch der Dunkelheit erwachen sie aus ihrem tiefen Schlaf, den sie zumeist in den Särgen verbringen. Sollten diese Halbwüchsigen tatsächlich Vampire sein, so verhielten sie sich nicht so, wie es das alte Muster vorschrieb. Sie gingen am Tage einer völlig normalen Beschäftigung nach, und das irritierte mich besonders.
Ich dachte an den Chip, der in meiner Jackentasche steckte. Wenn keiner etwas zugeben wollte, würde ich ihn hervorholen und eine Reaktion abwarten.
Zunächst aber redete Jenny Deylen, die Lehrerin. »Also, Kinder. Ihr habt gehört, was der Oberinspektor behauptet. Wer von euch war in der letzten Nacht draußen und hat sich im Wald herumgetrieben?«
Sie erhielt keine Antwort. Ein nahezu verbissenes Schweigen legte sich über den Klassenraum.
»Gut.« Sie nickte. »Ich möchte es anders anfangen.« Einen Moment dachte sie nach und sagte dann: »Solltet ihr nichts Ungesetzliches getan haben, wird auch keiner von euch bestraft, das verspreche ich. Ich persönlich werde mich für euch einsetzen, dass euch nichts geschieht. Keine Benachrichtigung an die Eltern, kein Verweis. Ist das ein Angebot? Deshalb frage ich noch einmal: Wer hat in der letzten Nacht die Schule verlassen und sich im nahen Wald herumgetrieben?«
Diesmal erhielt sie eine Antwort. Von einem Mädchen in der vierten Reihe. Es stand sogar auf. »Wir waren alle im Haus, Miss Deylen. Glauben Sie uns. Ich habe noch mit einigen zusammengesessen und gelesen.«
»Auch mit den von meinem Kollegen erwähnten Jungen?«
Das Mädchen schaute mich an. Von den Ohren hingen kleine Zöpfe, die sich bewegten, als sie den Kopf schüttelte und sich langsam hinsetzte.
»Also nicht«, stellte ich fest.
Miss Deylen drehte sich mir zu. »Mr. Sinclair, ich kann nicht mehr tun, als die Schüler zu fragen. Ich kenne die Klasse jetzt einige Jahre und weiß auch, dass sie nicht gerade die friedlichste auf der Schule ist. Das bringt die Pubertät halt so mit sich. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich den Kindern glaube. Wenn ich so intensiv frage und keine Antworten erhalte, haben die Schüler Recht.«
»Das würde bedeuten«, nahm ich den Faden wieder auf, »dass Sie uns einen Irrtum unterstellen.«
»So ist es.«
»Aber wir haben uns nicht geirrt«, meldete sich Bill, der wieder seinen Platz an der Tür eingenommen hatte. »Wir sehen ziemlich zerzaust aus, wenn Sie uns betrachten. Das hat seinen Grund. Es sind die Spuren der Schülerfäuste, die sich in meinem Gesicht abzeichnen. Das sollten Sie sich merken.«
Jenny Deylen verteidigte ihre Klasse. »Aber wenn sie nicht im Wald gewesen sind.«
»Dann lügen sie«, sagte Bill hart.
Die Lehrerin war in diesen Augenblicken überfordert. Sie wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Mit den Schneidezähnen berührte sie ihre Unterlippe und nickte schließlich. »Gut, wenn Sie bei Ihrer Behauptung bleiben, gibt es für mich nur eine Möglichkeit. Ich werde den Schulleiter informieren.«
»Warten Sie damit noch einen Moment«, bat ich die Frau in einem versöhnlich klingenden Tonfall. »Ich möchte noch einen letzten Versuch starten. Ja?«
»Bitte«, erwiderte sie spitz.
Ich nickte ihr dezent zu, während meine rechte Hand bereits in der Tasche verschwunden war und den geheimnisvollen Chip umklammert hielt, der dort steckte.
Ich holte ihn nur sehr langsam hervor, blickte auch nicht auf die Tasche, sondern nach vorn in die erwartungsvoll angespannten Gesichter der Schüler, die noch alles so furchtbar aufregend fanden.
Niemand sagte etwas. Nur unser Atem war zu
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