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0404 - Die Bande der Toten

0404 - Die Bande der Toten

Titel: 0404 - Die Bande der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich kraftlos schon halb geöffnet.
    Ich bückte mich, als ich ihn erreicht hatte. Behutsam rollte ich ihn auf den Rücken. Seinen Hut hatte er verloren. Ich blickte in ein mir völlig fremdes Gesicht. Seine Augen standen weit offen. Aus dem rechten Mundwinkel sickerte ein dünner Blutstreifen.
    »Hat Dempsy dich geschickt?«, fragte ich eindringlich.
    Er nickte kaum merklich. Sein Atem ging sehr schwach.
    »Ist Dempsy in New York?«, fragte ich. »In Manhattan?«
    Sein Blick schien verständnislos. Ich beugte mich tiefer. Es war kein Atem mehr zu spüren. Ich richtete mich wieder auf. Seine Augen schienen sich mit einem stumpfen Schleier zu überziehen. Ich drehte mich um und ging ein paar Schritte weg. In meinem Mund war ein bitterer Geschmack, und in meinem Magen ballte sich die Übelkeit zu einem kalten Klumpen zusammen.
    ***
    Dass sich die richtigen Tramps bis hinauf zum mittleren Broadway verirren, passiert nicht allzu häufig. Dennoch würde sich ein richtiger Amerikaner nicht darüber aufregen, selbst wenn er eine solche unrasierte, zerlumpte Gestalt vor dem Eingang des Waldorf Astoria Vorbeigehen sähe. Der in grau geflickte Lumpen gehüllte Landstreicher, der an diesem Nachmittag gegen zwei Uhr den Broadway entlangbummelte, erregte denn auch nicht mehr Aufmerksamkeit als etwa ein Schuhputzer oder einer der uniformierten Polizisten, von denen New York immerhin rund vierundzwanzigtausend anzubieten hat.
    Der Tramp hatte einen verlotterten Bart, der nicht übermäßig lang, aber bei seiner natürlichen roten Haarfarbe doch schon von so vielen silbrig-grauen Fäden durchzogen war, dass man seinen Träger schon fast zu den alten Männern rechnen musste. Dazu kamen der fahle Ausdruck seines eingefallenen Gesichts, die tief in den Höhlen düster glühenden Augen und die scharf gezeichneten Falten in der Stirn. Von seiner Kleidung ging der penetrante und aufdringliche Geruch aus, der allen verlotterten, seit Ewigkeiten nicht mehr gewaschenen Kleidungsstücken anzuhaften pflegte Der Tramp hatte wie alle Landstreicher eines im Überfluss: Zeit. Er konnte es sich erlauben, vor jedem Schaukasten eines jeden Nachtlokals zu verweilen und die ausgestellten Bilder zu betrachten.
    Hätte sich einer der Passanten die Mühe gegeben, den Tramp auf dem mittleren Broadway genauer zu beobachten, er hätte wohl bald herausgefunden, dass Mr. Tramp offenbar nicht so ganz ziellos dahinbummelte. Die Art, wie sein Blick gleichmütig über die Bilder in den Schaukästen der Nachtlokale streifte, verriet schnell, dass er ganz augenscheinlich auf der Suche nach etwas Bestimmten war. Und es offenbarte sich in dem Augenblick, als er vor den prächtigen Schaukästen des Twenty One Klub angekommen war.
    Der Star des Klubs in dieser Saison hieß Gloria Bella. Ihr war ein eigener Schaukasten gewidmet - ganz abgesehen von der mehr als doppelt lebensgroßen Reklamefigur der Sängerin, die direkt über dem Eingang an der Hausfront emporragte.
    Als der Tramp das erste Foto von Gloria Bella erblickte, blieb er wie fasziniert stehen. Es ging ihm nicht viel anders als vielen Männern von New York. Gloria Bella hatte in ihren Auftrittskostümen jene raffiniert elegante Linie gewählt, die niemand hätte beanstanden können. Und dennoch zeigte jedes Foto die Verkörperung des Weiblichen schlechthin. Nicht frech oder gar aufdringlich - nein, 48 aber mit einer ungeheuer suggestiven Wirkung, die umso stärker wurde, je länger man diese Bilder betrachtete.
    Der Bärtige hatte den Kopf ein wenig geneigt und ließ seinen Blick von einem Hochglanzfoto schweifen. Als er auch das letzte Bild gründlich betrachtet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem kleinen Schild zu, auf dem die Öffnungszeiten des exklusiven Klubs angezeigt wurden. Fast erweckte es den Eindruck, als trage sich der abgerissene Landstreicher allen Ernstes mit dem Gedanken, dieses teure Lokal aufzusuchen, sobald es nur seine Pforten öffnen wollte.
    Nach langer Zeit trollte er sich endlich. Mit schleppenden Schritten schlurfte er bis zur nächsten Straßenecke, um dort eine öffentliche Fernsprechzelle zu betreten. Er suchte im Telefonbuch von Manhattan, fuhr bedächtig mit dem linken Zeigefinger die Spalten entlang und wählte schließlich die gesuchte Nummer.
    »Twenty One Klub, First Manager«, sagte eine ölige Stimme. »Womit kann ich dienen?«
    Mühelos schien es dem Landstreicher zu gelingen, seine Stimme so zu verstellen, dass sie wie die geschäftsmäßige, routinierte, zwar nicht

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