0408 - Der Drachenblut-Vampir
Totenruf.
Es war still geworden. Ich wartete auch darauf, dass sich das Lachen wiederholte, doch da tat sich nichts. In meiner Umgebung blieb es ruhig. Der Nebel schien sämtliche Geräusche aufzusaugen, und auch das Plätschern des Baches klang leiser als sonst.
Um jedoch sicherzugehen, schritt ich noch einmal um die Hütte herum. Erst jetzt erkannte ich, dass sie an der Rückseite noch zwei kleine, lukenartige Fenster hatte, die dicht unter dem Rand des weit vorgezogenen Daches lagen.
Vor mir erstreckte sich die weite Anhöhe, über die wir auch gekommen waren. Auch hier sah ich keine Gestalt über die Wiese laufen. Nur der Nebel hing mit seinen langen Armen an den Spitzen der braun-grünen Gräser fest. Es hatte keinen Sinn mehr, dass ich mich verrückt machte. Wenn eine unbekannte Person sich tatsächlich in der Nähe aufhielt und etwas von uns wollte, würde sie sich bestimmt irgendwann wieder zeigen. Dann konnte man weitersehen.
Ich fragte mich auch, was Ria von mir gewollt hatte. Aus welch einem Grund hatte sie mich zu dieser Hütte geführt, die angeblich ein Geheimnis barg?
Hing es mit den Banshees zusammen, über die kaum jemand Bescheid wusste? Oder war es nur ein Trick?
»John, kommst du?«
Ria hatte aus der Hütte gerufen, und ich gab auch die Antwort.
»Ja, einen Augenblick noch.«
»Hast du denn etwas entdeckt?«
»Nein.«
»Vielleicht war es auch ein Vogel!«, rief sie. »Ein Rabe oder so.«
Der Klang ihrer Stimme hatte sich verändert. Ich blickte zurück und sah ihr Gesicht hinter der rechten der beiden Luken schimmern.
»Wir werden sehen.« Ich ging den gleichen Weg, den ich gekommen war. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass ich den Bach nur noch ahnen konnte. Der Atem vor meinen Lippen vermischte sich mit den grauen Nebelschleiern. So romantisch die Hütte auch sein mochte, ich hatte keine Lust, hier die Nacht zu verbringen, ohne irgendeine Spur von der Banshee oder einen konkreten Hinweis auf Aibon gefunden zu haben. Das wollte ich auch meiner Begleiterin sagen.
Ich schob mich durch den Türspalt, drückte die Tür wieder hinter mir zu und schaute in das Licht der vier Kerzen, das mich ein wenig blendete, deshalb sah ich Ria Rush auch nicht sofort.
Dafür nahm ich ihr Parfüm wahr.
»Ria!«, rief ich.
Die Antwort kam aus der Ecke der Hütte, wo das Bett stand. »Ja, ich bin hier, John.« Ihre Stimme hatte sich verändert. Irgendwie war sie mir rauchiger und geheimnisvoller vorgekommen.
Ria trat in den Lichtkreis der Kerze.
Im ersten Moment glaubte ich an eine Täuschung, an das Bild aus einem erotischen Märchen, aber es stimmte.
Ria war nur mit einem Höschen bekleidet. Und das zog sie jetzt noch aus!
***
Ein Zombie!
Das war Sukos erster Gedanke, bis er feststellte, dass es sich nicht um eine weibliche Untote handelte, auch wenn die alte Frau fast so aussah. Es war Gesine Rush, die Großmutter, die noch mit im Haus lebte, wie auch ihr Mann Morton und deren gemeinsame Enkel Elaine und Scotty. Die letzten drei waren gegangen. Sie wollten zu irgendeinem Farmertreffen und würden erst spät in der Nacht zurückkehren.
Der Inspektor entspannte sich wieder. Er wollte sich nicht in die Familienangelegenheiten einmischen.
Die Großmutter stand mit dem Rücken zum Kamin. Ihre Haut war bleich und eingefallen. Man sah ihr an, dass sie krank war. An den nackten Füßen trug sie warme Pantoffeln, das weiß-graue Wollnachthemd reichte fast bis auf die Knöchel. Der Haarknoten hatte sich zum Teil gelöst, sodass die Strähnen nach allen Seiten fielen.
Auch ins Gesicht.
Sie streckte den Arm aus. Ein magerer Zeigefinger wies auf ihre Schwiegertochter. »Du hast es gehört, Helen«, erklärte sie mit krächzender Stimme. »Du musst es gehört haben.«
Helen nickte. »Ja, Mutter, das haben wir auch. Aber bitte, jetzt geh nach oben und leg dich wieder hin.«
Gesine Rush ging nicht auf die Bemerkung ihrer Schwiegertochter ein. »Du weißt, was dieser Schrei zu bedeuten hat, Helen?«
»Das weiß ich, Mutter!«
Die alte Frau nickte. »Dann sag es, sag es schnell. Ich will es von dir hören.«
Helen warf ihrem Mann einen verzweifelten Blick zu, und Patrick handelte. »Hör mal, Mutter, wir alle hier sind in diesem Land geboren und kennen auch seine Geschichten. Aber wie ich schon sagte, es sind Geschichten, keine Tatsachen! Das müsstest du doch auch wissen.«
»Die Banshee hat geschrieen, Patrick«, erklärte die alte Frau mit leiser Stimme. »Die Banshee hat geschrieen. Sie ist
Weitere Kostenlose Bücher