041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
ihre zuckenden Nerven und versuchte, ihre Lage zu übersehen. Sie hoffte auf Dick. Er war der einzige Posten, den sie auf ihrer Kreditseite hatte. Er stellte zwischen den bösen und guten Mächten ihres Schicksals den Ausgleich her. Gewiß, er würde sie finden und retten, ehe der Hunger sie zermürbt hatte. Vor allen Dingen mußte sie Cody daran hindern, die Kammer zu betreten, während sie womöglich im Schlaf lag.
Sie versuchte, den Schrank vor die Tür zu rücken, aber er war zu schwer. Nun stellte sie den Tisch davor, hob den Waschständer hinauf und stemmte ihn gegen die Klinke, so daß sie eingeklemmt und nicht zu bewegen war. Dann warf sie sich erschöpft auf die Matratze. Wie ein Panther umschlich sie der Schlaf. Sie versuchte, ihm zu entgehen. Verzweifelt rezitierte sie Gedichte, sprach das Alphabet, das kleine Einmaleins, es half nichts. Mitten in einer Multiplikation verschwammen ihre Gedanken, löste sich alles in wesenloses Nichts auf.
Sie erwachte jäh mit einem wilden Hämmern ihres Herzens. Ein Laut war aus der Tiefe des Hauses zu ihr emporgedrungen, ein Laut wie von schlürfenden Schritten, den ihr getreuer Wächter, das Gehör, im tiefsten Schlaf aufgefangen und auf ihr Gehirn übertragen hatte. Kam Cody etwa wieder, um sie zu quälen und zu drängen? Nun wohl, sie war gerüstet; mit dem Stuhl in der Hand würde sie ihn empfangen. Sie würde ihr Leben teuer verkaufen. Aber das Geräusch war verstummt. Eine lange Zeit blieb alles totenstill. Doch dann plötzlich zitterte durch das Haus ein dumpfer Schlag, als ob irgendein schwerer Körper zu Boden gefallen wäre. Ein Mann schrie auf, einmal, zweimal - die Schreie ertranken in verworrenem Lärm, und es klang, als würden Möbel zertrümmert. Sie lauschte mit allen Nerven, ihre Hand ballte sich über ihrem Herzen, umsonst beschwor sie den jagenden Puls ihres Blutes. »A-u-u-uh!«
Plötzlich war das ganze Haus von Jammergeschrei erfüllt. Es war der Schrei einer von Schreck geschüttelten Bestie, hoch und durchdringend - ein Schrei, der durch Mark und Bein drang. Dem ersten folgte ein zweiter Schrei, tiefer, gutturaler noch, dem dumpfer Schmerz beklemmend beigemischt war.
Sybil umkrampfte das eiserne Gitter des Bettes, einen Augenblick war sie vor Entsetzen der Ohnmacht nahe. Das Brausen ihres Blutes übertönte jedes von außen kommende Geräusch. Doch als sich die Schreie nicht wiederholten, beruhigte sich ihr Puls. Wieder lauschte sie an der Tür. Ein schwaches Schluchzen drang von unten herauf. Es mochte zehn Minuten dauern, dann wurde alles still.
Die Stille währte lange; es war die qualvollste Spanne Zeit, die Sybil in diesem Haus des Grauens verbracht hatte. Dann hörte sie wieder das unheimlich schlürfende Geräusch, das sie geweckt hatte. Es kam die Treppe herauf, jetzt war es im Gang vor ihrer Tür. Kein Zweifel, es rührte von nackten Füßen her, die schwer über eine glatte Fläche gingen. Jetzt blieben die Füße stehen. Sybil glitt vom Bett herab. Sie umfaßte den Stuhl mit beiden Händen und rückte so weit von der Tür ab, wie es ihr der enge Raum gestattete. Sie biß die Zähne zusammen, um den Schrei zu unterdrücken, den ihr gepreßtes Herz durch die Kehle hinaufjagte.
Jetzt faßte auf der anderen Seite eine Hand an die Klinke und versuchte, sie niederzudrücken. Aber Sybil hatte sie gut gesichert, und sie bewegte sich nicht. Wieder folgte eine Sekunde Stille, in der Sybil den Atem hörbar durch die Lippen zog, dann hämmerte eine Faust gegen die Tür, die in ihrem Rahmen wankte, aber nicht nachgab. Wer auch in die Kammer einbrechen wollte, er besaß keinen Schlüssel und kein anderes Werkzeug als die grobe Faust.
Sie hörte ein scharfes Geräusch am Boden, ihre Blicke richteten sich auf die Schwelle. Im nächsten Augenblick erstickte sie ihren Aufschrei der Angst mit der zusammengekrümmten Rechten. Ihre Augen starrten wie entrückt auf den Boden. Dort zeigte sich zwischen Tür und Schwelle eine nackte, mißgestaltete Zehe wie vom Fuß eines Riesen. Sie zog sich zurück, doch dann schoben sich drei große stumpfe Finger durch die Spalte. Sie waren naß und rot von Blut. Und jetzt griffen zwei Mörderhände unter die Tür und versuchten, sie aus den Angeln zu heben.
Bei diesem Anblick brach jeder Gedanke an Verteidigung in Sybil zusammen. Ihr Mund öffnete sich zu einem langgezogenen Schrei des Entsetzens. Nur hinaus! Hinaus!
Sie sprang auf den Stuhl. Sie hatte in der Panik des Augenblicks nur den einen unklaren Gedanken:
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