041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
in dozierendem Ton, ohne das junge Mädchen dabei anzusehen, »daß Sie mich durch Ihre Hysterie in eine Zwangslage versetzt haben. Ich lade Sie zu einer hochwichtigen Besprechung ein. Beim ersten Wort bekommen Sie Schreikrämpfe, wälzen sich in Zuckungen auf dem Sofa. Ich trage Sie in diese Kammer und schließe Sie ein, um Sie vor sich selber zu schützen. Eine Mutter kann nicht mehr für ihr Kind tun. Soweit ganz schön, aber meine Frau meint mit Recht, daß hysterische junge Damen mitunter an merkwürdigen Zwangsvorstellungen leiden. Vielleicht, sagt sie, setzt sich Miss Lansdown in den Kopf, wir hätten Gift in ihren Tee gemischt und sie gegen ihren Willen hier festgehalten. Was können wir später gegen eine solche irrtümliche Darstellung tun? Nichts! Man würde uns nicht glauben. Staatsanwälte haben die Eigentümlichkeit, immer von ihren Mitmenschen das Schlimmste anzunehmen. Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich beizeiten solchen Möglichkeiten vorbeuge. Ich habe daher eine Erklärung aufgesetzt, die mich von jedem Vorwurf freispricht. Setzen Sie Ihren Namen darunter - und mein Auto bringt Sie sofort nach Hause.«
»Ich denke, meine Mutter war bereits auf dem Weg hierher?« fragte Sybil, die sich diesen Hieb mit blanker Waffe nicht versagen konnte.
Cody war auf diesen Einwand gefaßt gewesen.
»Ich habe sie noch telefonisch erreichen können und sie gebeten, von ihrem Besuch abzusehen«, parierte er geschickt. »Das Auto ist noch nicht zurück, aber es muß jeden Augenblick da sein.«
»Kann ich die Erklärung lesen?« fragte sie.
»Wozu? Das würde zu weit führen. Die Zeit drängt. Unterschreiben Sie!«
»Es ist ein bißchen viel verlangt, daß ich selber meine Geistesgestörtheit bescheinigen soll«, sagte Sybil und trat einen Schritt zurück.
»Das sollen Sie durchaus nicht! Wer spricht davon? Was Sie unterschreiben sollen, ist nichts weiter als ein Zeugnis für Ihre absolute Unversehrtheit und die Ehrenhaftigkeit und Sorgfalt meiner Handlungsweise!«
»Warum soll ich es dann nicht durchlesen?«
»Einfach deshalb, weil die Phraseologie des Juristen jeder Frau fremd ist. Sie würden dies und jenes nicht verstehen, und das würde zu Mißverständnissen und Erörterungen führen. Kommen Sie! Lassen Sie mich nicht länger warten! Ich habe Aufregung genug durch Sie gehabt. Meine Frau hat sich mit schwerer nervöser Überreizung ins Bett gelegt. Ich muß ins Dorf und einen Arzt holen!«
Er reichte Sybil mit gewinnendem Lächeln den Halter.
Sie näherte sich dem Tisch und sah jetzt, daß der Bogen mit sehr kleiner Schreibmaschinenschrift bedeckt war. Als er ihren Blick sah, legte er rasch seine Hand über die Schrift. Mit der anderen deutete er stumm auf eine freie Stelle. Schon wollte sie die Feder ansetzen; denn sie war nur von dem Wunsch beseelt, die Freiheit wiederzugewinnen, gleichgültig, um welchen Preis. Da las sie zwischen seinen gespreizten Fingern eine Zeile:
Sollte die besagte Sybil Lansdown vor dem besagten Bertram Cody sterben, so ...
»Nein«, sagte sie ruhig und fest, »ich unterschreibe prinzipiell nur, was ich vorher geprüft und gelesen habe.«
Da fiel die Maske von seinem Gesicht ab. Seine Kinnladen verschoben sich, seine Lippen entblößten die gelben Zähne, die Augen versanken in der Lidspalte. Er war nicht mehr der joviale, redegewandte Herr, er war jetzt der verstockte, in Sünden ergraute Verbrecher, der vor keiner noch so gemeinen Niedertracht zurückschreckt.
»Unterschreiben Sie«, brüllte er sie an, »oder ich gebe Ihnen Veranlassung, Ihre Weigerung zu bereuen!«
»Ich unterschreibe nicht. Bemühen Sie sich nicht länger!« sagte sie kalt und ablehnend.
Da riß er das Dokument vom Tisch und warf es in die Mappe.
Diesen Augenblick hatte sie abgepaßt. Mit einem Sprung war sie an der Tür. Schon hatte sie die Hand am Griff. Da packte er sie am Gelenk und schleuderte sie so kräftig zurück, daß sie zu Boden stürzte.
Er sah sie höhnisch an. Er gab sich keine Mühe mehr, sieh zu verstellen.
»Hier bleiben Sie, bis Sie kirre geworden sind, mein Fräulein! Ich habe Zeit zu warten. Ob Sie warten können, ist eine andere Frage. Wenn Ihre Vernunft Ihnen nicht den einzigen Weg zur Rettung zeigt, wird der Hunger es tun müssen.«
Er warf die Tür ins Schloß und drehte den Schlüssel um. Seine Schritte verloren sich auf der Treppe. Sybil war allein.
Eine Zeitlang war sie zu gelähmt, um irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Dann aber meisterte sie allmählich
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