041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter.
Danach lag sie wieder eine lange Zeit, ohne sich zu rühren, und lauschte auf das Pochen des Blutes, das ihre Adern zu sprengen drohte. Allmählich nahm die Kraft des Hämmerns ab, das Dröhnen in ihren Ohren wurde zum leisen Gesumm, und plötzlich hoben sich die Nebelschwaden von ihrer Erinnerung. In die Dauer einer Sekunde preßte sich alles, was sie erlebt hatte. Herzensangst ballte sich zusammen und steigerte sich zu einem furchtbaren Verstehen ihrer gegenwärtigen Lage. Langsam richtete sie sich auf. Aber noch nahmen ihre Augen nichts von ihrer Umgebung wahr, die Winkel verschoben und überschnitten sich, ein gräßliches Schwindelgefühl erfaßte sie und stürzte sie in einen bodenlosen Abgrund hinab.
Doch auch das ging vorüber. Die Linien bogen sich zurecht, die Gegenstände rückten an ihren Platz, und sie sah, daß sie sich in einem Mansardenstübchen befand. Ein schwerer dunkelbrauner Schrank füllte die Breite des Zimmers aus. Das Waschgerät stand in der Nähe des Tischchens, ein Stuhl am Bett. Auf dem Boden lag ein schäbiger Läufer. Ihr Blick suchte die Tür. Sie reichte nicht ganz bis zum Boden. Durch die handbreite Spalte fiel ein matter Lichtschein von draußen. Sybil sammelte alle ihre Kräfte und ging schwankend zur Tür. Sie rüttelte am Griff. Umsonst. Die Tür war verschlossen. Sie wandte sich um und starrte zum Fenster hinauf. Es war nur eine Dachluke, und sie lag so hoch, daß sie auf einen Stuhl steigen mußte, um sie zu erreichen. Sie hatte die Nachtlampe mitgenommen und beleuchtete die staubüberkrustete Scheibe.
Es dauerte lange, ehe sie sich öffnen ließ. Als sie endlich aufsprang, war Sybil um eine Hoffnung ärmer. Die Luke war durch ein eisernes Gitter gesichert, das viel zu engmaschig war, als daß sie auch nur ihren Kopf hätte hindurchzwängen können. Das war also kein Ausweg.
Da hörte sie plötzlich schwere Schritte die Treppe heraufkommen. Sie drückte das Fenster zu, sprang vom Stuhl herab und trug ihn ans Bett zurück. Draußen wurde der Riegel zurückgeschoben, der Schlüssel ins Schloß gesteckt und zweimal herumgedreht. Dann trat Cody ein.
Er hielt eine Aktenmappe in der Hand. Sein Gesicht zeigte einen besorgten Ausdruck.
»Aber liebes Kind«, begann er schon auf der Schwelle, »was haben Sie uns für einen Schrecken eingejagt! Leiden Sie öfter unter derartigen Anfällen?«
Sie starrte ihn an. Blitzartig begriff sie, worauf er hinauswollte.
»Anfällen?« fragte sie langgedehnt.
»Nun ja, ich wähle noch eine sehr milde Bezeichnung.« Sein Ton kühlte sich merklich ab. »Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Bewahre! Die Sünden der Väter werden an den Kindern gerächt. Ist in Ihrer Familie vielleicht Epilepsie erblich?«
Die uferlose Dreistigkeit dieses kleinen, betulichen Mannes benahm Sybil den Atem. Sie antwortete nicht.
»Ich will natürlich keineswegs behaupten, daß es ausgesprochen epileptische Krämpfe waren«, nahm Cody sogleich wieder das Wort. »Das zu beurteilen, fehlen mir die psychiatrischen Kenntnisse. Aber ich denke mir, es muß Epilepsie sein; denn wie könnte man sonst ohne jeden äußeren Anlaß in Schreikrämpfe ausbrechen?«
Sybil mußte mit aller Kraft an sich halten. Am liebsten wäre sie diesem Fuchs an die Gurgel gefahren. Aber still, still! Sie war ihrer Mutter schuldig, daß sie ihre traurige Lage nicht noch weiter verschlechterte.
»Ich kann mich durchaus nicht an Schreikrämpfe erinnern«, sagte sie mit einer Stimme, die wie Glas klang.
Cody legte den Aktendeckel auf den Tisch und entnahm ihm einen Bogen Papier. Dazu nickte er kummervoll wie ein chinesischer Mandarin.
»Dachte ich es mir doch - Bewußtseinsstörung, Gedächtnisschwund! Erstes Stadium der Epilepsie, das zweite ist Tobsucht!«
Sybil ballte die Hände, daß sie die Schärfe der Nägel in der Handfläche spürte. Sie richtete sich auf.
»Geben Sie den Weg frei!« sagte sie. »Ich wünsche das Haus zu verlassen!«
Cody stellte sich vor die Tür.
»Gemach, gemach, junge Dame. Vorerst harren noch einige kleine rechtliche Förmlichkeiten der Erledigung.«
Er nahm einen Füllfederhalter aus seiner Westentasche und schraubte ihn umständlich auf. Dann strich er mit der Hand glättend über den Konzeptbogen.
»Sie sind frei, wenn Sie das unterzeichnen!« sagte er und deutete auf das engbeschriebene Papier.
Sie streckte die Hand nach dem Bogen aus, den er sofort wieder zurückzog.
»Sie werden begreifen«, sagte er
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