042 - Die Schweinemenschen von Rio
hatte Jeff es mit keinem Trick zu tun. Der Schweineschädel vor ihm war echt; und er saß auf den Schultern eines Menschen.
Jeff ging weiter. An den Türen in der zehnten Etage waren die Namensschilder entfernt worden. Nach dem ersten Seitenkorridor trennte eine undurchsichtige Glaswand den Hauptkorridor ab. An der Tür hatte einmal ein Schild gehangen. Auf der Schwelle eingemeißelt sah Jeff das Emblem aus Hammer, Kelle und Winkelmaß – das Zeichen der Freimaurer.
Mit dem Dietrich öffnete er die Tür. Dieser Teil des zehnten Stockwerks war räumlich anders aufgeteilt. Vor den Fenstern waren die schweren Stores zugezogen. Es war düster.
Langsam pirschte Jeff sich durch die Vorhalle – die Halle der verlorenen Schritte, wie sie genannt wurde. Als er sich einer der sieben Türen im Hintergrund näherte, redete ihn eine grunzende Stimme an.
»Keinen Schritt weiter, Jeff Parker! Lies zuerst das und erfahre, was mit den Brüdern von der Loge der okkultistischen Freimaurer in Rio geschehen ist!«
Ein Arm kam aus dem Türspalt und warf Jeff ein eng beschriebenes Blatt Papier vor die Füße. Die Tür blieb etwas offen, doch wer immer sich dahinter befand, er zeigte sich nicht.
Jeff nahm das Blatt Papier, warf einen flüchtigen Blick darauf, doch er konnte die Schrift in der Dunkelheit nicht lesen; sie kam ihm aber bekannt vor. Er ging zurück, zu einem der großen Fenster, und zog den Vorhang auf.
Strahlendes Sonnenlicht flutete herein. Jeff sah sich in der Vorhalle um. Zu seiner Linken befand sich eine verlassene Empfangsloge. An der Wand der Loge hing ein Gemälde von Christianus Rosencreutz, ein Idealbild dieses Mannes, der von 1378 bis 1484 gelebt und die Bruderschaft der Rosenkreuzer gegründet hatte, aus denen Jahrhunderte später die okkultistischen Freimaurer hervorgegangen waren. Die Wände der Vorhalle, ganz in Holz getäfelt, waren mit Schnitzereien verziert, die abwechselnd streng geometrische Figuren und Szenen der einzelnen Weihen der Freimaurer darstellten.
Jeff Parker las, was auf dem Blatt Papier stand. Es war Vicente Neivas Schrift. Zuerst staunte er, dann verwandelte sich seine Überraschung in Fassungslosigkeit.
Vicente Neiva war nach der Flucht aus der Villa des Mannes, der sein Nachfolger in der Freimaurerloge hatte werden sollen, ziellos durch die Nacht geirrt. Er war verzweifelt; wenn er eine Waffe gehabt hätte, vielleicht hätte er sich in diesen schwarzen Stunden erschossen. Er hatte es nicht glauben wollen, hatte die Nachrichten als Gerüchte abgetan, und jetzt erfuhr er am eigenen Leib die schreckliche Wahrheit: Er verwandelte sich in ein Schwein. Während sein restlicher Körper bis zum bitteren Ende menschlich bleiben würde, wenn die Nachrichten stimmten, war sein Kopf zu dem eines Schweins geworden. Er, der elegante Vicente Neiva, den immer alle wegen seiner blendenden Erscheinung bewundert hatten, trug den Kopf eines Schweins. Neiva wusste nicht, was er tun sollte. Nach Hause zu seiner Frau wollte er nicht, denn so sollte sie ihn nicht sehen. Bei der Loge der Freimaurer mochte er auch keine Zuflucht suchen, denn die Freimaurer waren entschiedene und erbitterte Gegner der Macumba. Ihn, der vom Fluch der Macumba befallen war, würden sie vielleicht sogar töten, wenn er in die Räume der Loge einzudringen versuchte.
Natürlich war den Freimaurern aufgefallen, dass das Hochhaus, in dem ihre Loge untergebracht war, mehr und mehr verkam. Aber die Hausverwaltung und die Angestellten hatten tausend Ausreden. Eine Gesellschaft hatte von den Freimaurern die Instandsetzung des Hauses und die laufenden Arbeiten übertragen bekommen; doch es besserte sich nichts. Neiva und seinen Logenbrüdern war klar, dass die Macumba dahintersteckten. Die Sekte wollte die Freimaurer verhöhnen und provozieren. Was in den Wohnungen im Hochhaus vorging, wusste Neiva nicht, aber öfter waren im Haus Schweinemonster gesehen worden, wie sie in letzter Zeit Rio unsicher machten. Von der Presse wurden sie auf Geheiß der Regierung totgeschwiegen.
Als die Loge bei der letzten Versammlung energische und einschneidende Maßnahmen beschloss, war es zu spät. Am nächsten Tag begann die grässliche Verwandlung Vicente Neivas, die ihn innerhalb von drei Tagen zu einem Schweinemonster gemacht hatte.
Neiva wanderte über die Hügel nach Encantado. Er schlich durch die Vorstadt, wich dem Licht der Straßenlampen aus. Auf einmal überkam ihn ein Jucken am ganzen Körper. Er suchte sich einen Baum, stellte sich mit
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