042 - Die Schweinemenschen von Rio
dem Rücken dagegen und rieb sich wohlig grunzend wie ein Schwein. Dann wurde ihm bewusst, was er tat und er eilte beschämt weiter. Er überquerte die Bahnlinie, erreichte das Postamt und das Fabrikgelände an der Avenida Amaro Cavalcante, eilte über die Straße, die um diese Zeit – gegen drei Uhr morgens – wie ausgestorben war, von wenigen Autos abgesehen, und tauchte im Fabrikgelände unter.
Neiva atmete auf. Als er an der Mauer eines Fabrikgrundstückes entlang schlich, hörte er ein Scheppern und grunzende Geräusche. Vorsichtig schlich er weiter.
Und dann sah er es. Eine Reihe von Mülltonnen stand hier und wartete auf die Müllabfuhr. In den Mülltonnen wühlten Schweinemänner und -frauen, Monster gleich ihm. Sie fraßen Abfall und steckten die Schnauzen in die Mülltonnen.
Obwohl Neiva sich ruhig verhalten hatte, wurde er entdeckt. Vielleicht witterten die Schweinemonster ihren Artgenossen. Zwei kamen auf Neiva zu, stießen ihn mit den Händen an und beschnüffelten ihn. Sie grunzten etwas. »Du bist ein Neuer«, brachte ein Schweinemann mit kaum verständlicher, grunzender Stimme hervor. »Wie lange hast du es schon?«
Neiva bemühte sich aus Leibeskräften, konnte aber nur grunzen.
Der Schweinemann patschte ihm auf die Schulter. »Friss mit uns!«
Doch Neiva konnte sich nicht überwinden. Er sah den andern zu. Würde auch er einmal so weit sinken? In einer dunklen Ecke wälzte sich ein Schweinemann grunzend auf eine Schweinefrau. Sie kümmerten sich nicht um andere; sie benahmen sich wie Tiere. Andere folgten ihrem Beispiel. Und wieder andere suhlten sich in einer Pfütze.
Neiva überlief es glühendheiß. Nackte Männer und Frauen mit Schweineköpfen wälzten sich im Dreck, suhlten sich wohlig grunzend. Am schlimmsten aber war, dass Neiva ebenfalls ein Verlangen nach einem solchen Suhlbad überkam. Er musste sich beherrschen, um sich nicht auch in die Pfütze zu werfen.
Mit einem Quieken drehte er sich um und flüchtete in die Nacht. Hinter sich hörte er das Grunzen seiner Artgenossen. Er irrte durch den Stadtteil Meier mit seinen engen Straßen und winkligen Gassen. Ein paar Mal schlugen Hunde an, als er vorüberkam. Dann hörte er vor sich gellende Hilfeschreie.
Er blieb im Dunkeln einer Einfahrt stehen und schaute, was sich da auf dem kleinen Platz abspielte. Bei einem Brunnen waren zwei dunkle Gestalten über ein Pärchen hergefallen. Mochte der Teufel wissen, was sie jetzt noch auf der Straße zu suchen hatten. Zwischen den Hilferufen vernahm er Grunzen und Quieken. Als die junge Frau in den Lichtschein einer Straßenlampe flüchtete, sah er einen Schweinemann, der sie verfolgte, packte und ihr in die Schulter biss, als sei er von Sinnen oder tollwütig.
Lichter gingen nun an. Leute schauten aus den Häusern. Als beherzte Männer auf die Straße kamen, floh der Schweinemann. Die andere dunkle Gestalt, sicher ebenfalls ein Schweinemonster, folgte ihm. Sie rannten in eine enge Gasse und verschwanden.
Eine erregte Menschengruppe versammelte sich auf der Straße. »Wieder ein Angriff dieser Ungeheuer«, hörte Neiva eine aufgeregte Stimme. »Wir müssen die Macumba holen. Nur sie werden mit den Schweinebiestern fertig.«
»Ich habe gehört, in Ramos drüben haben sie ein Kind zerrissen.«
Die tollsten Gerüchte waren im Umlauf. Gerüchte, wie sie auch Neiva gehört hatte, ohne ihnen Glauben zu schenken. Gerüchte von Leuten, die Schweineköpfe hatten und sich wie Tiere oder sogar wie reißende Bestien benahmen. Sie tauchten nur bei Nacht auf. Die Polizei und das Militär sollten schon etliche erlegt haben. Wo sie herkamen, wusste niemand.
Neiva hörte die Sirene eines Streifenwagens. Der Streifenwagen bog um die Ecke, hielt an. Zwei Polizisten mit gezogenen Waffen stiegen aus.
»Was ist hier los?«, fragte der eine.
Die Anwohner berichteten von dem Angriff der Schweinemänner. Das verletzte und geschockte Pärchen erzählte, die beiden hätten sie plötzlich angefallen. Der Mann und das junge Mädchen hatten Bisswunden abbekommen.
»Sie müssen in eine Spezialklinik«, sagte der eine Polizist. »Eine Impfung mit einem Serum ist erforderlich. Ich werde gleich über Funk einen Krankenwagen anfordern.«
Während er ins Funkmikrophon sprach, sah sein Kollege sich misstrauisch um und kontrollierte die Umgebung. Im Osten verkündete dämmerndes Licht den neuen Tag.
Der Polizist sah Vicente Neivas Gestalt undeutlich im Torbogen der Einfahrt.
»Kommen Sie mit erhobenen Händen
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