042 - Die Unsterblichen
nahmen sie den Gleiter in Beschlag.
Matt schloss zu ihnen auf.
»Was habt ihr vor?«, fragte er, als er sah, dass sie ihr gesamtes Gepäck von den Rhiffalos dabei hatten.
Naoki sah ihn mitleidig an. »Wir müssen alle schleunigst von hier verschwinden«, erklärte sie mit Blick auf das Schlachtfeld, das sie umgab.
»Wenn sich die Wilden von ihrem Schrecken erholt haben, werden sie dich fragen, wieso du die Gleiter ihrer Feinde fliegen kannst.«
Matt missbilligte die Ausdrucksweise der Japanerin, doch im Grunde hatte sie wohl Recht. Gut zwanzig Tote säumten den Platz vor den Hallen, und mindestens genauso viele waren leicht bis schwer verletzt. Der Freude über das eigene Überleben würde bald die Frage nach der Schuld folgen, und dann konnte Matts Einsatz gegen die Eisernen schnell vergessen sein.
Aruula berührte ihn von hinten sanft an der Schulter.
»Naoki hat Recht«, flüsterte sie. »Wir können nicht länger hier bleiben.«
Matt nickte, auch wenn ihm dieser Abgang nicht gefiel. Aber letztlich konnte er den Verletzten nicht besser helfen als ihre eigenen Angehörigen. So zog er den Gleiter in die Höhe und folgte den beiden Japanern hinaus in die Prärie.
Sie waren schon über den Blockhütten, als noch ein paar Schüsse erklangen, aber da waren sie schon außer Reichweite der Vorderlader.
***
Amarillo Medical Science Center, 2437
Die aufgehende Sonne verwandelte den Horizont in ein blutiges Meer. Naoki konnte sich noch gut an die dunklen Jahrzehnte erinnern, in denen sie sich nach dem Wärme spendenden Licht gesehnt hatte, doch heute schien ihr der Himmelskörper so bedrohlich wie das rote Symbol der kaiserlich japanischen Kriegsflagge.
Miki Takeo hatte keinen Blick für das böse Omen, das sich im Osten abzeichnete. Mit behäbigen Bewegungen lud er sein Reisegepäck auf die Rückbank des Magnet-Gleiters und drehte sich zu seiner alten Freundin um. Er musste den Kopf senken, um ihr in die Augen zu sehen, denn sein neuer Körper maß fast zwei Meter.
Naoki strich über seine raue Brustpanzerung aus Plysterox, einem Kunststoff mit hohem Härtegrad, der leichter als Stahl und unemp- findlich gegen Witterungseinflüsse war.
Die Hülle wirkte wie eine Rüstung nach mittelalterlichem Vorbild, doch es gab darin keinen Körper, der geschützt werden musste. Alles was noch von Miki Takeo existierte - was ihn von einer puren Maschine unterschied -, war das mit Elektronik durchsetzte Gehirn, das eingebettet in seinem Torso ruhte.
Sein nach menschlichem Vorbild geformter Kopf diente nur noch zur Aufnahme von optischen und akustischen Sensoren.
Der Gedanke daran raubte Naoki einen Moment lang die Kontrolle.
Wütend schlug sie auf den Brustpanzer ein. Torso, Arme und Beine wurden von Lüftungs- schlitzen zerfurcht, die ihm ein dämonisches Aussehen gaben. Das gesamte Design wirkte düster und bedrohlich wie eine Skulptur von H.R. Giger, und das sollte es wohl auch. Miki war ein Fan des Schweizer Künstlers.
»Warum bist du nur zu Carters Maschinenfraktion übergelaufen?«, schimpfte sie, obwohl es eher wie ein Schluchzen klang.
»Siehst du es so?« Mikis Sprachprozessor imitierte perfekt seine alte Stimme. »Dass unsere Gemeinschaft in zwei Lager gespalten ist?«
Naoki unterdrückte die aufwallenden Gefühle, denn sie wollte sich zum Abschied nicht gehen lassen. Verlegen glättete sie ihren gemusterten Kimono. Seit einigen Jahren kleidete sie sich wieder traditionell, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Phase langweilig wurde.
So wie alles, was sie in den vergangenen Jahrhunderten angefangen hatte.
Der Fluch der Unsterblichkeit. Früher oder später erstarrte alles zur Routine.
Miki strich ihr zärtlich über die Wange, doch zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren schauderte sie vor der kalten Berührung.
»Carter hat Recht«, erklärte er seine Beweggründe.
»Wie sehr du auch Organe und Muskelgewebe optimierst oder den Alterungsprozess verlangsamst, früher oder später musst du alles gegen neu gezüchtete Ersatzteile austauschen. Die Schwachstelle jedes Cyborgs ist seine menschliche Komponente.«
»Fleisch ist also vergänglich«, höhnte Naoki.
»Richtig«, bestätigte er ohne Ironie. »Mein neuer Körper ist dagegen für die Ewigkeit. Die Wilden aus der Prärie nennen uns Die Unsterblichen, und das sind wir inzwischen auch. Unsere Gemeinschaft hat fast fünfhundert Jahre in einer lebensfeindlichen Umgebung überdauert, dabei sind wir längst über unsere fleischliche
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