042 - Die Unsterblichen
Existenz hinaus gewachsen.«
»Wohin soll das führen?«, rief sie aus. »Willst du auch noch dein Gehirn abstoßen, so wie Carter? Deine Gedanken, Erfahrungen und Emotionen auf ein Speichermedium übertragen und ein seelenloser Roboter werden?«
»Wir sind nicht mehr als die Summe unserer Erfahrungen«, behauptete Miki.
»Und wo ist schon der Unterschied, ob du nun zu vierzig oder hundert Prozent aus mechanischen Teilen bestehst? Carter wird irgendwann eine Lösung finden, um seinen Geist komplett einzuscannen, und dann wird sich sein Traum von Perfektion und Unsterblichkeit erfüllen. Du wirst sehen, wenn es so weit ist, wird es dir ganz natürlich vorkommen.«
»Carter ist mir egal«, schnaufte Naoki.
»Ich habe ihn nicht geliebt… so wie dich.«
Sie stockte, als sie über ihre eigenen Worte erschrak. Sie hatte gerade laut ausgesprochen, was sie bisher nicht einmal zu denken wagte: dass ihre Gefühle für Miki erloschen waren. Aber das wusste er längst. Warum sonst hatte er sich für eine Expedition ins Ungewisse gemeldet?
»Werden wir uns wiedersehen?«, hauchte sie, von plötzlichem Trennungsschmerz ergriffen.
Vergeblich suchte sie nach einer Regung in Mikis kantigem Maschinengesicht. Die Macht der Gewohnheit.
Seine Emotionen waren stets ein offenes Buch für sie gewesen, doch die vorspringende Kinnlinie bewegte sich keinen Millimeter. Mechanische Kälte in einem Körper von monströser Größe. Jeder Wilde, der Miki begegnete, sollte seine Überlegenheit spüren, damit er gar nicht erst gezwungen war, seine übermenschlichen Kräften zu gebrauchen.
»Ich habe Carter versprochen, neue Kontakte für die Gemeinschaft zu knüpfen«, drang es nach einer halben Ewigkeit aus der Haube hervor. »Aber es ist eine Reise ins Ungewisse. Selbst wenn ich die Ostküste erreiche, kann es lange dauern, bis ich zurückkehre.«
»Wir sind unsterblich«, antwortete sie. »Ich werde so lange warten, wie es nötig ist.«
»Es gibt einen Weg, dich meiner zu erinnern«, sagte er. »Den der Schöpfung.«
Ein leisen Zischen begleitete seine Worte.
Unterhalb des Brustpanzers glitt ein eckiger Block aus der bionischen Hülle. Eisige Schwaden traten aus der Öffnung und verwehten im Wind.
Mit einem Geschick, das Naoki den dicken Fingergelenken nicht zugetraut hätte, zog Miki ein thermisch versiegeltes Reagenzglas aus dem Fach hervor. Er reichte es ihr, und sie umschloss es fest mit dem Handschuh, der sie vor der Kälte schützte.
»Das ist alles, was von meiner körperlichen Existenz verblieben ist«, erklärte er. »Spermien, Körperzellen - alles was du brauchst, um einen Nachkommen zu zeugen. Durch meinen Abschied werden die Ressourcen für ein neues Leben in der Gemeinschaft frei. Das ist mein Abschiedsgeschenk an dich.«
Naoki war froh, das sie nie ihre Tränenkanäle versiegelt hatte. Wie sonst hätte sie ihre Ergriffenheit so deutlich zeigen können? Dicke Perlen drangen aus ihren Augenwinkeln und rannen die Wangen hinab. Miki berührte ihre Schulter mit seiner riesigen Pranke, dann wandte er sich wortlos ab. Sie hatten in den letzten Jahrhunderten alles ausgetauscht, was es zwischen zwei liebenden Menschen zu sagen gab.
Ihr Abschied sollte ein stiller sein.
Mit schwerfälligen Bewegungen wälzte Miki sich in den Vordersitz des Magnet-Gleiters. Ein letztes Winken, dann startete er vom Dach des Medical Towers und flog Richtung Osten davon.
Naoki umklammerte die isolierte Ampulle und sah ihm lange nach. Als der Gleiter zu einem dunklen Punkt am Horizont verschmolz, wusste sie plötzlich mit schmerzlicher Gewissheit, dass er nie mehr nach Amarillo zurückkehren würde.
***
Gut zehn Meter über dem Boden sausten die Gleiter nebeneinander durch die Luft. Ihre Höchstgeschwindigkeit betrug achtzig Stundenkilometer, trotzdem machte sich der Fahrtwind nach einiger Zeit unangenehm bemerkbar. Aruula, die nur ihren Lendenschurz trug, klapperte bereits mit den Zähnen. Matt wollte aber nicht den Anschluss verlieren.Als er Aiko auf das Problem hinwies, deutete der Cyborg auf einen Schalter zu seiner Rechten. Matthew fand ein entsprechendes Gegenstück in seiner Konsole, auf das er drückte. Die Luft vor der Kanzel begann zu wabern, als ob unterschiedliche Wärmeschichten aufeinander prallen würden. Dann war plötzlich kein Hauch mehr zu spüren.
Prüfend streckte Matt die Linke vor, bis die Fingerspitzen auf Widerstand stießen. Weitere Versuche zeigten ihm, das er nicht irrte: Vor ihm hatte sich eine Barriere
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