0420 - Der Magier von Lyon
Château hinauf fahren wollen, aber dann überlegt, daß es nicht gut war, wenn Zamorra in den scharfen Kurven plötzlich anfing, Glas für Glas angesammelte innere Werte über die schwer zu pflegenden Lederpolster zu verteilen.
Am späten Mittag erwachte Zamorra mit einem mörderischen Kater und war für den Rest des Tages zu nichts zu gebrauchen, aber dieses einmalige Ausflippen hatte ihn wieder etwas ruhiger werden lassen.
Er hoffte, daß Nicole bald zurückkehrte. Er brauchte sie, ihre Nähe, ihre Stimme, die Wärme ihres liebenden Körpers. Aber er widerstand dem Versuch, sich ein zweites Mal bis zur Oberkante Unterlippe vollzutanken, sondern stürzte sich verstärkt in sein Judo- und Karate-Training. Normalerweise hatte er im hauseigenen Fitneß-Center Nicole als Partnerin, aber Pascal Lafitte ließ sich gern einladen, ein paar Trainingsstunden mitzumachen. Er erwies sich als guter Trainingspartner, weil er selbst seit einiger Zeit einen Karate-Kursus besuchte und inzwischen den roten Gürtel erlangt hatte.
Zamorra trug den schwarzen Gürtel, aber den 2. Den hatte er erst vor einem halben Jahr erworben. Auf den Gedanken, sich nach längerer Zeit wieder verstärkt dem Training zuzuwenden und sich auch wieder offiziellen Prüfungen zu stellen, hatte ihn erst der Kontakt mit dem Mongolen Wang Lee Chan gebracht. Aber Wang war inzwischen tot.
Zamorra trainierte trotzdem weiter, so oft er Zeit hatte.
Am Mittag des vierten Tages legte Lafitte ihm eine aufgeschlagene Zeitung auf den Tisch, als er kam.
Zamorra abonnierte eine Menge in-und vor allem ausländischer Zeitungen. Darin interessierten ihn nur fachbezogene Artikel, also Texte über Parapsychologie, aber auch über Okkultismus und ungeklärte Phänomene. Da er aber sehr oft für längere Zeit unterwegs war, verdiente sich Pascal Lafitte ein Taschengeld nebenher, indem er, der ein Sprachtalent war, die Zeitungen durcharbeitete und vorsortierte, was für Zamorra interessant sein konnte.
Zamorra las die Schlagzeile.
René M. Lacroix auf offener Straße erschossen!
Zamorra kannte keinen René Lacroix. Auch der Name des Mörders, André Roquet, war ihm unbekannt. Aber als er den Artikel las, erfuhr er, daß Lacroix eine Farbik besaß, die Spritzguß-Formteile aus Kunststoff herstellte und im letzten Jahr einen traumhaften Umsatz gemacht hatte.
Mit André Roquet verband ihn nichts. Die beiden Männer konnten sich nicht kennen, auch nicht über ein paar hundert Ecken herum, und warum Roquet den anderen auf offener Straße vor ein paar Dutzend Zeugen durch einen sauber gezielten Kopfschuß ermordet hatte, ließ sich nicht feststellen.
Angeblich wußte Roquet nicht, was er getan hatte.
»Die Masche, einen Gedächtnisschwund vorzutäuschen, ist doch alles andere als neu«, murmelte Zamorra und nippte am Kaffee. Lafitte trank Fruchtsaft. Kaffee, behauptete er, brauchte er nur, wenn er früh aufstand und zur Arbeit mußte. Aber derzeit hatte er Urlaub und verbrachte den hauptsächlich damit, seine junge Frau zu umhegen, die ihr erstes Baby erwartete. Bis es soweit war, würden aber noch ein paar Monate vergehen.
»Vielleicht hat ihn irgend ein Feind des Ermordeten als Killer gedungen und dafür gut bezahlt«, vermutete Zamorra. »Industrielle haben oft Feinde, und je erfolgreicher sie sind, desto mehr Feinde haben sie auch.«
»In diesem Fall scheint es nicht so zu sein«, erklärte Lafitte. Er klopfte mit dem Zeigefinger auf den Stapel der restlichen Zeitungen, die er durchgearbeitet hatte. »Zwei weitere Zeitungen haben den Fall auch aufgegriffen und berichten, daß es keine auffälligen Kontobewegungen, aber auch keine irgendwie gearteten Kontakte zur Unterwelt oder zur Industrie gibt. Roquet ist ein völlig unbeschriebenes Blatt.«
»Aber eines mit einem Waffenschein…«
»Eben nicht. Er darf keine Waffe besitzen. Er besitzt auch keine, behauptet er. Wie die Mordwaffe mit seinen Fingerabdrücken in seine Tasche geraten sei, wisse er nicht. Er könne sich weder daran erinnern, jemals eine Waffe gekauft oder gestohlen zu haben, noch, auf Lacroix geschossen zu haben. Aber das schönste, Zamorra, kommt erst noch.«
»Bitte?« Zamorra war ganz Ohr.
»Roquet ist ein miserabler Schütze! Auf zwanzig Schritt Entfernung trifft er mit einer Pistole nicht einmal ein Scheunentor! Demzufolge hätte er den Mann auf der anderen Straßenseite gar nicht treffen können. Einen so sauber gezielten Kopfschuß kriegt in dem Tempo, das die Zeugen beobachtet haben wollen,
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