0420 - Der Magier von Lyon
er sich den Winzer vorhin als Politiker vorgestellt hatte, aber mittels Magie die politische Karriereleiter hinaufmarschieren zu wollen, erschien ihm doch als entweder äußerst naiv oder als extrem dummdreist. Er versuchte, die seltsame Unterhaltung aufs lächerliche Gleis zu schieben, und Vaultier damit zum Gehen zu provozieren: »Haben Sie sich da nicht den falschen Helfer ausgesucht, Monsieur? Vielleicht hätten Sie besser einen Pakt mit dem Teufel schließen sollen…?«
»Wenn mir einer dessen Adresse gäbe, würde ich auch das tun«, sagte Vaultier trocken und griff zum fünften Mal nach der Cognac-Flasche.
Zamorra wußte nicht, ob Vaultier sich jetzt auf die gleiche Ebene wie er bewegt hatte, oder ob er seine Behauptung wirklich ernst meinte, und er war nahe daran, den fetten Winzer hinauszuwerfen. Schüchtern zu sein, hatte er eben behauptet? Davon konnte wirklich nicht die Rede sein. Hinter seinen weitschweifigen Reden und seinem verunglückten Äußeren verbarg sich etwas, das Zamorra nicht ganz durchschaute. Er glaubte plötzlich in diesem Mann einen Stahlbolzen vor sich zu haben, der nur den etwas Verrückten spielte. Aber ein Säufer war er. Was wie Fett aussah, mußte alles Leber sein, die den Alkohol spielend verarbeitete.
Vaultier redete schon wieder. »Sieben Sitzungen hat es bis jetzt gegeben, und jede hat mich zwischen fünfzehnund zwanzigtausend Franc gekostet. Aber ich trete einfach auf der Stelle. Es stellt sich keine Wirkung ein.«
Zamorra starrte ihn ungläubig an.
So viel konnten Magier mit ihrem faulen Zauber verdienen? Wenn dieser Thibaut nur drei oder vier Kunden im Monat hatte, konnte er davon bequem und ohne Arbeit leben und sich Rücklagen schaffen. Und sieben Sitzungen, wie Vaultier es nannte, deuteten drauf hin, daß Tibor Thibaut darauf aus war, sich Dauerkunden zu schaffen, die er immer wieder ausnehmen konnte wie eine Mastgans.
Aber Vaultier mußte auch stinkreich sein. Und er mußte sich noch mehr Geld von seiner politischen Karriere versprechen, denn sonst hätte er diese Unmengen an Geld nicht investiert. Schließlich war er Geschäftsmann, wenn auch ein versoffener.
Es zeigte aber auch, was er wirklich wollte: es ging ihm weniger um Verantwortung, sondern um Geld. Glaubte er wirklich, Zamorra mit seinem Gerede täuschen zu können?
»Ich möchte, daß Sie herausfinden, ob dieser Thibaut ein Scharlatan ist, der sich an mir nur bereichern will, oder ob er ein Könner ist und der Mißerfolg eine andere Ursache hat. Es könnte ja sein, daß ein mißliebiger Rivale versucht, mich ebenfalls mit Magie zu blockieren…«
Es war, als hätten diese Worte in Zamorra etwas ausgelöst.
Er besaß ganz schwach ausgeprägte telepathische Fähigkeiten. Sie funktionierten nicht immer. Es mußten schon besonders günstige Umstände eintreten, die er nie im voraus bestimmen konnte, um die Gedanken anderer Menschen oberflächlich erkennen zu können. Vorhin hätte er eine Menge darum gegeben, Vaultiers Gedanken lesen zu können, um zu wissen, ob dieser den Wunsch nach einem Teufelspakt wirklich ernst meinte. Es war ihm verwehrt geblieben. Aber jetzt sah er plötzlich etwas in Vaultier.
Henri Vaultier wurde magisch geblockt!
Seine Vermutung stimmte, ohne daß er es ahnte! Irgend jemand hatte irgend etwas mit ihm und seinem Unterbewußtsein angestellt. Aber Zamorra konnte nicht erkennen, was an ihm manipuliert worden war. Dazu reichten seine Fähigkeiten nicht aus, und das Amulett, das die Ausstrahlung Schwarzer Magie ebenso hätte feststellen können wie eine hypnotischsuggestive Behandlung Vaultiers, trug er nicht bei sich. Es lag oben im Schlafzimmer. Und er wollte es jetzt nicht herbei rufen, weil die optische Wirkung des aus dem Nichts in seiner Hand erscheinenden Amuletts zu spektakulär gewesen wäre. Er wollte Vaultier keine Show bieten.
Er wollte aber auch nicht aufstehen, ins Schlafzimmer gehen und mit dem Amulett, das er dann unter dem Hemd trüge, zurückkehren.
Er sah in der Blockierung Vaultiers keine augenblickliche Gefahr. Wenn von Vaultier eine schwarzmagische Bedrohung ausginge, hätte er den weißmagischen, unsichtbaren Abwehrschirm um Château Montagne überhaupt nicht durchschreiten können. Was in ihm war, betraf nur ihn selbst. Und Zamorra war sicher, daß es nicht schaden konnte, wenn seine Karriere ein wenig gehemmt wurde. Menschen, denen es ausschließlich ums Geld ging, hatten in der Politik nichts zu suchen.
Aber Zamorras Neugierde erwachte. Wer hatte was
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