0422 - Der Kopfjäger von Manhattan
»Wir haben etwas gefunden«, verkündete er. »Der Einbrecher muß sich geschnitten haben, als er das Fenster eindrückte. An einigen Glasscherben gibt es Blutspuren.«
»Schicken Sie alle Leute hinaus in den Hof«, sagte ich, ohne eine Sekunde zu zögern. »Da es keine Fingerspuren gibt, trug er Handschuhe. Da er aber Blutspuren gibt, ging der Schnitt durch die Handschuhe hindurch. Lassen Sie den Hof Zoll für Zoll absuchen, die Einfahrt, herumstehende Mülltonnen!« Eine halbe Stunde später hatten wir nicht nur den Handschuh, sondern auch ein blutbeflecktes Taschentuch.
»Beim heutigen Stand kriminaltechnischer Untersuchungen«, brummte Phil, »ist das fast so gut wie die Visitenkarte des Einbrechers.«
***
Am Montagvormittag ging ein Mann mit einer schwarzen Binde, die das linke Auge verdeckte, durch die Westliche 17. Straße. Er trug eine hellgraue Hose zu einem dunkelblauen Clubjackett mit goldenen Knöpfen. Dem sonnengebräunten Antlitz nach mochte er ungefähr zweiunddreißig Jahre wählen.
Im letzten Block vor der breiten Uferstraße, die sich am Hudson entlangzieht, betrat er ein vierstöckiges Mietshaus. Am Klingelbrett blieb er stehen und tat, als ob er die Namenschildchen lese. Einem genaueren Beobachter freilich hätte auffallen können, daß er in Wahrheit die Straße hinabblickte und aufmerksam die Leute musterte. Auch den vorüberfahrenden Autos galten seine forschenden Blicke.
Nach einiger Zeit drehte er sich um und schob die Haustür auf. Ohne noch einmal innezuhalten, stieg er die breite, ausgetretene Treppe zum ersten Obergeschoß hinauf. Er drückte auf den Klingelknopf an der dortigen Wohnungstür und wartete.
Eine Frau öffnete. Sie war wenigstens fünfzig Jahre alt und trug einen bunt geblümten Kittel, der ihre füllige Figur formlos umhüllte. In den grauen Haaren saßen bunte Plastiklockenwickler. Der scharfgeschnittene Mund mit den zu breiten Lippen stand fragend offen, ohne daß ein Laut aus ihrer Kehle gekommen wäre.
»Guten Morgen«, sagte der Mann mit der Augenbinde höflich. »Ich suche Mister Rocky Adams. Wie ich hörte, wohnt er bei Ihnen?«
»Allerdings«, ließ sich die Frau in einem scharfen, unsympathischen Tonfall vernehmen. »Und wenn Sie gleich zweimal geklingelt hätten, brauchte ich nicht umsonst an die Tür zu laufen.«
»Dann sollten Sie ein Schild anbringen, auf dem ein entsprechender Hinweis steht«, sagte der Mann gelassen. »Ist Mister Adams zu Hause?«
»Ich sage ihm Bescheid.«
Die Frau ließ die Tür halb offenstehen und schlurfte durch einen langen Korridor davon. Man hörte entferntes Klopfen, Stimmengemurmel und wenig später die näherkommenden energischen Schritte eines Mannes.
Rocky Adams hatte sich mit seinen 44 Jahren gekleidet wie ein jugendlicher Geck. Sein auffälliger, grün-rot karierter Anzug war ihm ein wenig zu eng. Außerdem trug er eine knallgelbe Krawatte mit einem aufgedruckten Hula-Hula-Girl.
Adams runzelte die Stirn, während er seinen Besucher mißtrauisch betrachtete.
»Ja?« knurrte er, nicht eben freundlich.
»Mein Name ist Tom Hagerty«, sagte der Mann mit der Augenbinde. »Ich möchte Sie gern eine Minute sprechen, Mister Adams.«
»In welcher Angelegenheit?«
Hagerty sah sich im Treppenhaus um, als ob er sich vergewissern wollte, iaß sie nicht belauscht würden. Dann eigte er den Kopf ein wenig vor und erklärte leise:
»Es handelt sich um Bob Evans, Sir.« Adams fuhr unwillkürlich zurück, als sei er erschrocken. Seine Zunge erschien zwischen den fleischigen Lippen und fuhr unruhig hin und her. Nach kurzem Bedenken trat er noch weiter zurück und brummte:
»Na schön. Kommen Sie herein, Mister — eh — wie war der Name?«
»Hagerty«, wiederholte der Mann mit der Augenbinde. »Tom Hagerty.« Er wurde durch einen schier endlosen Korridor, in dem es nach muffigem Plüsch, billiger Seife und Küchendünsten roch, in ein großes, fast quadratisches Zimmer geführt, das mit alten, dunklen Möbeln überladen war. Hinter einem halboffenen Vorhang konnte man ein zerwühltes Bett erkennen, auf dem ein grellgelber Schlafanzug lag.
»Nehmen Sie Platz, Mister Hagerty«, sagte Adams und zeigte auf einen gepolsterten Stuhl mit einer überhohen Rückenlehne.
»Danke.« Der Mann mit der Augenbinde ließ sich nieder, legte seine kräftigen, sehnigen Hände vor sich auf den runden Tisch, der mit einer dicken, roten Decke überzogen war, betrachtete einen Augenblick die vier Metallzwingen, die die Tischdecke festhielten, und
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