0422 - Der Werwolf-Jäger
nickte. »Ja, wir sind gezwungen, etwas zu tun.«
»Und was?«
»Das entscheidet sich in London.«
Chirianow horchte auf. »Sie wollen nach London?«
»Ob ich hinfliege, weiß ich nicht. Ich habe andere Aufgaben zu erfüllen, aber es ist eine Gefahr vorhanden, und sie verdichtet sich immer mehr. Dabei hatte ich gedacht, Ruhe zu haben, nachdem das Werwolf-Omen gelöscht worden war…«
Michail begriff die Rede des Russen nicht, er zuckte nurzusammen, als er direkt angesprochen wurde. »Sie sind Werwolf-Jäger, nicht wahr, Genosse?«
»Das bin ich.«
»Und Sie haben in Sibirien diese Bestien gejagt?«
»Das stimmt auch. Meine Frau wurde grausam umgebracht.«
»Ja, ich weiß.« Wladimir Golenkow schaute sein Gegenüber nachdenklich an. »Sie lieben wahrscheinlich die Natur und die endlose Weite unseres russischen Heimatlandes, dennoch möchte ich Sie um einen Gefallen bitten.«
»Ich höre.«
»Dieses Land gibt Ihnen viel, deshalb springen Sie über Ihren eigenen Schatten und geben ihm auch etwas. Wenn Sie geschworen haben, die Bestien zu jagen, geben wir Ihnen einen offiziellen Auftrag. Wir werden Sie nach London schicken, um dem Phänomen nachzuspüren.«
Michail war überrascht. »Ich soll nach England fliegen?«
»So denken wir.«
»Und dann?«
»Alles Weitere wird sich ergeben. Im Moment sind einige Leute dabei, Ihnen die entsprechenden Unterlagen auszustellen, damit Sie keinerlei Schwierigkeiten bekommen. Nehmen Sie Ihren Bogen mit, es wird alles glattgehen.«
»Treffe ich dort auch diesen John Sinclair?«
»Das ist wahrscheinlich. Ich kenne ihn gut, wir haben mal zusammengearbeitet. Er ist ein aufrechter Mann, Sie können ihm vertrauen. Ich werde Ihnen noch eine Botschaft für ihn mitgeben.«
Michail Chirianow wischte über seine Stirn. »Das… das kommt alles ein wenig plötzlich.«
»Ich weiß. Sie haben auch noch über einen Tag Zeit, um sich darauf einzustellen. Solange werden Sie unser Gast sein. Es wird Ihnen an nichts mangeln. Nur dürfen Sie das Haus nicht verlassen. Was es zu erledigen gibt, das werden wir in die Wege leiten. Und denken Sie immer daran, welch wichtige Person Sie sind. Wahrscheinlich haben Sie eine Staatsverschwörung ungeheuren Ausmaßes entdeckt, aber das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«
»Nein, Genosse.«
Wladimir Golenkow stand auf, ging um den Schreibtisch herum und klopfte dem Werwolf-Jäger auf die Schulter. »Denken Sie daran, daß alles, das Sie unternehmen werden, für Rußland geschieht.«
»Jawohl, Genosse Golenkow.«
Der KGB-Offizier verließ das Büro und ließ einen Menschen zurück, der nicht wußte, ob er nun wachte oder geträumt hatte. Erst nach einiger Zeit hatte sich Michail Chirianow wieder gefangen. Er schaute auf seine Hände, die er zu Fäusten ballte, und nickte sich selbst bestätigend zu. »Ja«, flüsterte er. »Ja, ich bin der Werwolf-Jäger. Ich werde es den Bestien zeigen. Allen werde ich es zeigen…«
***
Die klirrende Kälte der letzten beiden Wochen war vorbei, und die Temperaturen bewegten sich in London um den Gefrierpunkt.
Auch ich hatte meinen dicken Wintermantel wieder im Schrank hängen lassen und den Burberry übergezogen.
Der Himmel war grau.
Ebenso grau wie meine Stimmung. Das allerdings lag nicht am Wetter, sondern an der Tatsache, daß ich ohne Wagen war. Ein mörderischer Killer hatte meinen Bentley zerstört.
Ich mußte mich auf den Dienstwagen verlassen, den der Yard mir zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein älterer Rover, den ich am Straßenrand abgestellt hatte. Den Rest des Weges bis zu meinem Ziel ging ich zu Fuß. Dabei spürte ich den Kloß im Magen. Er lag dort wie Blei und wollte einfach nicht verschwinden, besonders in diesem Augenblick nicht, als ein Bentley an mir vorbeifuhr.
Um mir so einen Wagen zu kaufen, fehlte mir das Geld, und nach einem gebrauchten Fahrzeug hatte ich noch keine Ausschau halten können.
Mein Ziel war etwas ausgefallen. Ein altes Haus inmitten der Londoner City, nicht weit vom Piccadilly entfernt. Betreten durfte man das Gelände nicht, es gehörte zu einem russischen Konsulat.
Keine Botschaft, nur eine Delegation. Was dort auf mich wartete, wußte ich nicht. Ich hatte den Auftrag von Sir James Powell erhalten und sollte mich dort einfinden.
Im Haus hätten ebenso Rechtsanwälte oder Banker ihre Büros haben können. Große, hohe Fenster bedeckten die Fassade, und die Scheiben wirkten wie graues Blei.
Die Tür war breit und ziemlich groß. Sie hatte zwei
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