0422 - Der Werwolf-Jäger
verdammt nahe an mich herangekommen war und die nach unten fallenden Pranken gegen mich hieb.
Die scharfen Killerkrallen fuhren über meinen Mantelstoff, rissen ihn auch ein, ansonsten geschah nichts, außer, daß die Bestie zu Boden krachte und Staub aufwirbelte.
Sie lag fast auf meinen Füßen. Ich stieg über sie hinweg, ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Graues Tageslicht floß in den Raum. Unter mir befand sich die belebte Straße. Ich schaute bis zum Piccadilly und sah dort den nie abreißenden Kreisverkehr, gleichzeitig streifte ein Luftzug meinen Nacken.
Aus dem Stand kreiselte ich herum.
Ein Mann stand auf der Schwelle.
Aber was für einer! Größer als ich, auch breiter in den Schultern.
Blondes Haar, zu einer Bürste geschnitten. Er trug einen weißen Raglan-Mantel, der vorn offenstand. Darunter einen dunklen Anzug mit Weste. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet, dafür war der ebenfalls weiße Schal zweimal um den Hals geschlungen.
Bevor ich ihn ansprechen konnte, war er schon wieder verschwunden und knallte die Tür hinter sich zu. Er schob allerdings nicht den Riegel vor, ich hörte seine Schritte auf der Treppe verklingen.
War das der Kerl, der im Treppenhaus über das Geländer geschielt hatte?
Wahrscheinlich, und seine Reaktion hatte mich stutzig werden lassen. Hatte er vielleicht etwas mit dieser Bestie zu tun, die vor mir auf dem Rücken lag und starb?
Die Schnauze stand weit offen. Schaum quoll hervor und verteilte sich an der unteren Kiefernhälfte. Ich blieb dicht neben ihr stehen, die Beretta in der Rechten zeigte auf den Werwolf.
Er verwandelte sich.
Aus der Bestie wurde ein Mensch!
Die langen Fellhaare begannen zu zittern, als würde ein Windstoß über sie hinweggleiten. Sie fielen ab, der gewaltige Kopf verkleinerte sich, die menschliche Haut trat hervor, die Nase bildete sich zurück, die Augen wurden ebenfalls normal.
Ein toter Mann, der nur eine grüne Hose trug, lag vor mir. Sein Gesicht hatte ich nie gesehen. Leichenblaß und starr waren die Züge, und auf der nackten Brust sah ich dicht neben dem Einschußloch einen handtellergroßen Blutfleck.
Ich hörte Schritte, wandte den Kopf zur Tür und richtete die Waffe dorthin. Einen Moment später wurde die Tür aufgestoßen.
Ein mir unbekannter Mann erschien, musterte mich durch seine randlosen Brillengläser, blickte dann auf den vernichteten Werwolf, nickte und sagte mit einem Lächeln auf den Lippen: »Gratuliere, Mr. Sinclair.«
Der Aussprache nach war er Russe.
Ich wollte ihm eine Antwort geben, als mir eine zweite Stimme zuvorkam. »Nichts anderes habe ich von Ihnen erwartet, John.«
Die Stimme kannte ich gut. Sie gehörte meinem Chef, Sir James Powell. Also war der Auftrag doch kein Trick gewesen. Als er sich über die Türschwelle schob, wurde es ein wenig eng im Raum, und Sir James schlug vor, daß wir gingen.
Der Russe gab ihm recht. Erst jetzt erfuhr ich seinen Namen. Er hieß Kirgin und war der Leiter dieser Mission.
Ich steckte meine Waffe weg und lächelte schief. »Meinen Namen kennen Sie ja.«
»Darf ich Sie dann in mein Büro bitten?«
Ich hatte nichts dagegen. Viel schlauer war ich nicht geworden.
Meine erste Aufgabe war erledigt. Ich hatte das Gefühl, eine Probe bestanden zu haben. Der Werwolf war gewissermaßen für mich reserviert worden. Doch weshalb?
Kirgin würde mir sicherlich Auskunft darüber geben können. Er ging vor Sir James und mir. Sein Gang war etwas schwerfällig, als hätte er auf seinen gedrungen wirkenden Beinen eine schwere Last zu tragen.
Sir James merkte natürlich, daß mir zahlreiche Fragen aufden Lippen brannten, und kam mir zuvor. »Später, John, später«, bat er.
»Das hoffe ich auch.«
In Kirgins Büro sah ich den Monitor. Sein Bild zeigte den Toten.
Mir war klar, daß man mich bei meiner Aktion beobachtet hatte.
Der Russe wies uns Plätze zu, bot etwas zu trinken an. Auch ich lehnte den Wodka ab, dafür nahm ich ein Mineralwasser. Mein Hals war tatsächlich trocken geworden.
Auf einen Stuhl setzte ich mich nieder und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch Sir James war schweigsam, er wollte diesem Kirgin die Erklärungen überlassen.
Der Russe nickte mir zu. »Zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, daß wir Sie mit dieser Bestie konfrontiert haben, ohne Sie vorher zu informieren.«
Ich winkte ab. »Ich bin nicht nachtragend.«
Kirgin lächelte, bevor er nickte. »Dann können wir ja zum Kernpunkt kommen. Es geht um diese
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