0426 - Palast der Schattenwürger
machen. »Ich kann mich nur mit einer Hand halten«, beschwerte er sich.
»Mach es trotzdem.«
Culver hatte gesprochen. Ich sah ein, wie recht der junge Mann hatte, und stieg als erster in die Tiefe. Touat folgte mir. Er klammerte sich mit der Linken an den Sprossen fest. Durch den harten Griff löste sich der Rost. Ein Teil rieselte auf meinen Kopf.
Unwillkürlich dachte ich an das Abenteuer, das ich in Tanger erlebt hatte.
Es lag schon einige Zeit zurück und hatte sich zu einem gewaltigen Fall entwickelt, in den auch die Großen Alten mit hineingezogen worden waren. Bei diesem Abenteuer war mir Ali über den Weg gelaufen. Der Junge lebte jetzt in der Nähe von Frisco bei Yakup im Kloster.
Ich leuchtete in die Tiefe. Der Lichtstrahl fand auch ein Ziel. Er malte einen weißen Kegel auf den Boden. In diesem Kreis schimmerte eine Pfütze.
In sie trat ich hinein und wunderte mich über den Geruch.
Ich wartete, bis die anderen beiden da waren. Unseren Führer stützte ich ab.
Schweratmend und ängstlich um sich blickend, blieb er neben mir stehen. Über sein Gesicht lief eine Gänsehaut. Er schüttelte sich zudem, als hätte jemand kaltes Wasser über ihn gegossen.
»Alles klar?« fragte ich.
»Bei mir ja«, erwiderte Culver.
»Dann können wir.« Ich schaute Touat an. »Du wirst uns führen, Junge.«
»Wir gehen zum Fluß.«
Max grinste schief. »Bin mal gespannt, was das für ein Gewässer sein wird.«
»Es ist der Heilige Fluß.«
»Schon wieder.«
Touats Blick wurde eisig. »Sie sollten nicht spotten. Die von uns verehrten Heiligen Männer fahren über ihn und kommen geläutert zurück. Sie haben dann sehr viel erfahren.«
»Und wo mündet er?«
»Er läuft in der Wüste aus und wird zu einem Wadi.«
»Aber wir wollen zu den Schattenwürgern.«
Touat erwiderte orakelhaft. »Die Schattenwürger sind dort, wo sich das Paradies und die Hölle treffen.« Mehr wollte er nicht sagen, drehte sich um und ging. Dabei hielt er sein rechtes Gelenk mit der linken Hand fest und versuchte, seinen Arm so wenig wie möglich zu bewegen. Sein Gang glich einem leichten Schaukeln.
Wir schritten in eine Tiefe hinein, in der die Feuchtigkeit überwog. Über uns befand sich die Decke, mal höher, mal niedriger. Sie bestand aus rauhem Fels, der feucht glänzte.
Ich leuchtete den Weg ab. Der weißbläuliche Lampenstrahl huschte über den Boden. Irgendwo in der Ferne verlor er sich dann. Je weiter wir gingen, um so breiter wurde der Gang.
Seltsamerweise empfand ich nicht einmal das Gefühl der Bedrohung, als wir unter der Stadt Marrakesch herschritten.
Dann sahen wir den Fluß.
Das Rauschen hatte sich bereits gesteigert. Mein Lampenstrahl erfaßte schließlich das Wasser und auch den über dem Boden wirbelnden Sprüh, in dessen Tropfen sich der Lampenstrahl brach.
Da Gischt in die Höhe geschleudert wurde, mußte das Wasser mit einer ziemlichen Geschwindigkeit fließen. Ich wandte mich an unseren Führer.
»Bist du hergerudert, Touat?«
»Nein.«
»Wie hast du die Strömung überwunden?«
»Das Boot hat einen Motor.«
»Das wir immer besser«, kommentierte Culver.
Es waren nur noch ein paar Schritte bis zum Ufer. Das Wasser sahen wir noch nicht, nur den in die Höhe geschleuderten Sprüh. Er entstand, wenn die Wassermassen gegen Felsen klatschten.
Sie bedeckten das Ufer.
In mir stieg eine Erinnerung hoch. Ich dachte an einen Fall, der sich in Spanien abgespielt hatte, wo man mich an eine aus Knochen bestehende Totenbarke festgebunden hatte, die mich an das andere Ufer der Nacht transportiert hatte. [2]
Touat hatte sein Boot geschickt zwischen die Felsen gesteuert und den schaukelnden Kahn festgetaut. Mein erster Blick fiel auf das Heck. An ihm war ein starker Außenborder befestigt worden. Der schaffte auch die Strömung.
Ich blickte nach links. Der Scheinwerferstrahl glitt über die unruhige Wasserfläche. Die Wellen wirbelten, gerieten in Strudel, in Kreise, schäumten übereinander und huschten auch mal über glatte Felsen hinweg.
»Steig ein!«
Culver hielt sich bei unserem Führer auf und gab ihm die entsprechenden Anweisungen.
Touat betrat das Boot. Er trat an das Ruder, während ich die um einen Felsen gewickelte Leine löste. Sofort erfaßten die Wellen den Kahn, sie drückten ihn gegen die nassen Felsen, und mir gefielen die dabei entstehenden dumpfen Geräusche überhaupt nicht.
Culver kippte den Außenborder ins Wasser, unser Führer hatte sich umgedreht. Er deutete auf einen bestimmten
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