0427 - Die Knochen-Küste
Er lächelte plötzlich. »Wollen. Sie einer werden?«
»Das wäre nicht schlecht.«
Er räusperte sich, stand auf und schlug gegen eine kahle Stelle an der Wand. »Es tut mir leid, aber ich begreife einfach nichts. Gar nichts kann ich fassen. Es ist für mich furchtbar. Diese Vorfälle sind wie ein Schlag in mein Leben eingetreten. Sie haben mich aus meinem normalen, wissenschaftlichen Alltagsdenken herausgerissen. Die Veränderung meines Sohnes, ich begreife nichts.«
»Das wollten wir von Ihnen bestätigt haben.«
»Und wenn Sie gehen?« fragte er. »Wollen Sie mich mitnehmen? Soll ich mich dem Grauen stellen?«
»Nein, bleiben Sie hier, bitte. Miß Collins und ich gehen zum Strand. Ich habe schon einmal diesen Sturm erlebt. Allerdings wesentlich abgeschwächter. Als ich Miß Collins fand, war sie unter dem Sand schon fast erstickt. Er wurde dort in die Höhe gewirbelt, wo sie lag. Das hatte auch keine natürliche Ursache gehabt.«
»Dann wäre es doch eigentlich besser, wenn Sie den Ort verlassen, oder nicht?«
»Wir gehen auch«, sagte Jane. »Nur eben zum Strand. Ich weiß, daß ich einen nicht gerade positiven Eindruck auf Menschen hinterlasse. Durch mich ist das Unglück gekommen, ich werde mich ihm stellen. Indirekt trage ich auch an der Reaktion ihres Sohnes die Schuld. Daß er sich so verändert hat, tut mir leid, ich wollte es nicht.«
Brookfield lächelte. »Schon gut, Miß Collins. Nehmen Sie bitte meine Worte nicht persönlich. Ich weiß ja, daß wir Gefangene dieses Grauens sind, und wir müssen uns leider damit abfinden. Ich kann Sie nicht aufhalten, ich wünsche Ihnen nur, daß Sie es schaffen und die verdammte Brut, sollte es sie tatsächlich so geben, wie Sie sie beschrieben haben, auslöschen.«
Es waren Worte, die auf einen Abschied hindeuteten. Wir hatten sie auch richtig verstanden und erhoben uns.
Jenseits der Tür klangen hastige Schritte auf. Brookfield hatte sie auch gehört, er drehte sich um, die Tür wurde geöffnet, und Ursula Brookfield stand auf der Schwelle.
Sie sah ziemlich aufgelöst und hilflos aus.
»Was ist geschehen?« fragte ihr Mann.
»Matthias, er ist nicht mehr aufzutreiben. Ich… ich war in seinem Zimmer, dort ist er aber nicht. Und das Gewehr, das du im Glasschrank aufbewahrst, ist auch verschwunden, mitsamt der Munitionsschachtel. Und ich befürchte, daß Matthias mit dieser Waffe umgehen kann…«
***
Der Junge hatte sich wieder auf das Bett gelegt und den Kopfhörer des Walkman übergestreift. Er wollte Musik hören und nichts anderes. Nicht wissen, nichts sehen, nur eben der Musik lauschen und alles andere vergessen. Das schaffte er nicht.
Zwar hörte er Mike Oldfield singen, aber der sang nicht mehr wie sonst. Schrille Töne störten den Musikgenuß. Es waren zischend gesprochene Sätze und Befehle aus dem Unsichtbaren. Und es waren die gleichen Stimmen, die er schon am Strand erlebt hatte, wo sie aus der Höhle geklungen waren und ihn fast zu einem Mord getrieben hätten.
Hexenstimmen…
»Du hast es nicht geschafft, Junge. Du mußt dich anstrengen und es noch einmal versuchen. Sie ist eine Feindin, sie würde auch dein Leben zerstören, glaube es uns. Wir werden dich belohnen, wenn du dich auf unsere Seite stellst. Jage sie. Nimm dir das Gewehr! Du weißt, wo es ist. Jage sie wie Hasen. Schieße sie aus dem Haus. Sorge dafür, daß sie über den Strand gehetzt werden, wo wir sie erwarten können. Wer zu uns hält, den belohnen wir. Du willst doch bestimmt einmal mächtig werden. Das kannst du, wenn du darauf hörst, was wir dir sagen.«
Er richtete sich auf. Verwundert glitt der Blick des Jungen durch den Raum, aber er sah den Sprecher nicht.
»Geh schon!« flüsterte es. Und die Stimme war wesentlich lauter als die Musik.
Er schwang sich vom Bett. Mit einem sicheren Griff nahm er den Kopfhörer ab und schaltete den Walkman aus.
Jetzt vernahm er nur noch das Toben des Sturms.
Der Junge wußte nicht, was er unternehmen sollte. Da war einmal der unsichtbare Sprecher gewesen, zum anderen stand sein eigener Wille voll dagegen. Noch nie hatte sein Herz so schnell geschlagen wie in diesen Augenblicken. Er schaute sich vorsichtig in seinem Zimmer um, als stünde er in einem fremden Raum.
Nein, da war nichts.
Selbst einen Geist konnte er nicht sehen, obwohl doch eine geisterhafte Stimme gesprochen hatte.
Von einem Gewehr hatte sie geredet.
Plötzlich lächelte der Junge. Es war aber kein fröhliches Lächeln, das über seine Lippen glitt und
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