0428 - Jiri, der Flammenteufel
stehen. Sie hob langsam den rechten Arm, so daß es den Frauen vorkam, als würde sie einen Gruß zu ihnen hinüberschicken. Das war es bestimmt nicht, denn dort, wo sich die Hand befinden mußte, flackerte plötzlich ein Licht.
Eine kleine Flamme, als hätte der Unbekannte auf der Brücke eine Kerze angezündet.
Das Licht blieb nicht nur, es bekam Verstärkung. Auf einmal standen fünf kleine Flammen über den Fingerspitzen, die wie zuckende Pfeile in den grauen Nebel hineinstachen. Der Mann legte seine Hand auf das Geländer der Brücke und bewegte dabei seine Finger.
Die Flammen bewegten sich mit. Sie tanzten plötzlich. Einmal auf, einmal nieder. Es war ein zuckendes, irgendwie auch faszinierendes Spiel, diesem Vorgang zuzuschauen.
Dann drehte sich der Unbekannte weg, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Er ging langsam dem anderen Ufer entgegen. Die beiden Frauen schauten ihm so lange nach, bis ihn der graue Dunst verschluckt hatte.
Nur noch die Lichter waren länger zu erkennen als er selbst.
So wie er gekommen war, verschwand er auch wieder.
Lautlos, geisterhaft…
Die beiden Frauen standen stumm am Ufer. Ihnen hatte es die Sprache verschlagen. Selbst Maria, die resolutere von beiden, schwieg. Sie hatte sich geduckt und schüttelte sich manchmal.
»Wer war das nur?«
Maria vernahm die geflüsterte Frage und hob die Schultern.
»Doch keiner aus Mostar!«
»Ich weiß es nicht.« Sie drehte der Nachbarin ihr Gesicht zu. Unter dem Kopftuch wirkte es wie grauer Beton. »Vielleicht will er zum Friedhof.«
»Und was soll er dort?«
»Keine Ahnung.«
»Glaubst du, daß er ein Geist gewesen ist?«
»Das sind doch Geschichten.«
»Weiß ich nicht. Mein Schwiegervater erzählt, daß auf dem Friedhof viele Soldaten begraben sind. Das müssen uralte Gräber sein, nur aus der Zeit, die man Mittelalter nennt und wo die Türken unser Land besetzt hatten. Ich habe mal etwas von den Kreuzrittern gehört. Sie sollen auch durch Mostar gekommen sein. Aber so genau weiß ich das nicht.«
Maria schüttelte den Kopf. »Nein, das war doch kein Kreuzritter. Die sahen anders aus.«
»Aber wenn er aus einem der Gräber gekommen ist.«
»Daran glaube ich einfach nicht«, sagte Maria.
»Und das Feuer? Hast du gesehen, wie er ein Zündholz oder eine Kerze angezündet hat?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Für mich sah es so aus, als wären die Flammen aus seinen Fingern gezuckt. Kannst du dir das vorstellen? Feuer aus den Fingern eines Menschen!«
»Das kann ich nicht.«
»Was sollen wir tun? Willst du es erzählen?«
Maria hob die Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Laß uns zurückgehen. Wenn sich der Nebel gelichtet hat, sieht die Welt ganz anders aus. Dann hast du auch den Mann vergessen.«
»Das blaube ich nicht.«
Die beiden Frauen machten sich auf den Heimweg. Sie gingen schnell, als würde sie der Unheimliche verfolgen. Daß sie die Hälfte des Wassers aus ihren Eimern verloren hatten, stellten sie erst fest, als sie bei ihren Häusern angelangt waren.
Beide zündeten dort eine Kerze an, die der Heiligen Maria gewidmet war, um die Familien zu schützen…
***
Suko und ich waren aufgestanden, um unseren Besucher entsprechend höflich zu empfangen. Auf der Türschwelle stand wirklich ein außergewöhnlicher Mann.
Er hieß Sergio Ivic, aber er sah nicht so aus, wie man sich landläufig einen Südländer vorstellt. Bei ihm traf das Gegenteil zu.
Dieser Mann war ein Albino!
Ich hatte nie bei einem Menschen eine so blasse Haut gesehen. Sie wirkte wie weißes Papier, durch das winzige Äderchen zu sehen waren.
Die Haare des Mannes waren ebenfalls weiß, strohig und so hell wie die Haut eines Schimmels. Seine Augen wirkten blaß. Welche Farbe die Pupillen hatten, war ebenfalls nicht zu erkennen. Irgend etwas Undefinierbares zwischen grau, blau und grün. Dafür hatten die Ränder eine rötliche Farbe.
Er trug einen hellen Anzug, Grundfarbe weiß, aber leichte, graue Streifen durchzogen ihn von oben nach unten. Das weiße Hemd stand am Kragen offen, da er auf eine Krawatte verzichtet hatte.
Glenda hatte ihn namentlich vorgestellt und sich wieder zurückgezogen.
Ich sagte meinen Namen, Suko ebenfalls.
Sergio Ivic nickte und schaute zu, wie ich ihm einen Besucherstuhl anbot. Er setzte sich etwas steif hin, schlug dann die Beine lässig übereinander und erkundigte sich, ob er rauchen dürfte.
»Gern.«
Aus der Tasche holte er eine Zigarillo-Schachtel hervor. Wir sahen, daß auf seinen Händen zahlreiche
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