043 - Das Beinhaus der Medusa
eines Mannes, der auf die Seite gekippt war. Der Fremde trug
noch einen normalen Straßenanzug im Gegensatz zu den anderen hier versammelten,
schweigsamen Gestalten, die alle nur den Atem anzuhalten schienen.
Elin Holtsen hätte am liebsten laut aufgeschrien in diesem Kabinett des
Grauens. Sie fror, ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander.
Sie mußte daran denken, daß ein bestimmtes Geräusch sie in dieses Gewölbe
lockte. Das Geräusch war durch jenen Mann verursacht worden, dessen rechte Hand
nicht aus Stein bestand
– sondern aus Fleisch und Blut.
Elin merkte, wie sie in Gedanken daran erschauerte.
In welches Haus war sie geraten?
Sie fuhr sich mit zitternden Fingern über die nasse Stirn. Sie mußte weg
hier. Irgend etwas stimmte hier nicht.
Würde es ihr gelingen, aus dem Haus zu schleichen?
Sie erkannte ihren Aufzug und wußte, daß es unmöglich war, nur mit diesem
hauchdünnen Hemd am Körper den Weg nach Kjerringöy anzutreten.
Sie mußte zurück ins Zimmer und ihre Kleider holen.
Warum aber hatte man sich so sehr um sie bemüht? Sollte auch sie als Statue
dieser unheimlichen Sammlung einverleibt werden?
Elin Holtsen war nicht mal überrascht über ihre eigenartigen,
kristallklaren Gedanken.
Auf Zehenspitzen bewegte sie sich zwischen den Reihen der dichtstehenden
Gestalten, die sie mit ihren Augen zu verfolgen schienen. Die junge Norwegerin
wurde das Gefühl nicht los, daß eine dieser versteinerten Gestalten plötzlich
zum Leben erwachte und nach ihr griff.
Genau in diesem Augenblick, als sie diesen Gedanken hatte, vernahm sie ein
Geräusch.
Eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen.
Elin Holtsen blieb wie erstarrt stehen.
Unter ihren Füßen …
Schritte …! Und dann deutlich wahrnehmbare Stimmen!
»… jetzt haben Sie es solange ausgehalten, dann werden Sie doch auch die
letzten Schritte noch schaffen, nicht wahr?«
sagte eine kalte, weibliche Stimme.
»Noch ein paar Stufen höher. Legen Sie den Hebel um … ja, so ist es gut!«
Elin Holtsen hielt den Atem an, als sie das Knirschen auf dem Fußboden
vernahm. Keine drei Schritte von ihr entfernt, bewegte sich eine raffiniert
eingelassene Bodenplatte, die in der Dämmerung kaum von der übrigen Bodenfläche
zu unterscheiden war.
Die Platte wich knirschend und mahlend zurück, so daß eine mehr als
mannsgroße, schwarze Öffnung entstand.
Der Oberkörper eines Mannes tauchte in der Öffnung auf. Im Schein der
flackernden Kerzen und der roten, grünen und blauen verborgenen Lichter
erblickte sie das ernste Gesicht.
Hinter dem Mann tauchte eine junge, sehr hübsche Frau auf.
Elin Holtsen erkannte sofort ihre Gastgeberin. Sie war bewaffnet! Ein
kleiner blinkender Damenrevolver lag in ihrer Hand, der genau auf den Rücken
des Mannes gerichtet war.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht, Erik Knudvil«, sagte Inger Bornhohn mit
leiser Stimme. Der gefährliche Unterton in ihren Worten war nicht zu überhören.
»Sie sehen, ich pflege meine Versprechen einzuhalten.«
Erik Knudvil fluchte still in sich hinein.
Es ärgerte ihn, daß er sich so übertölpeln ließ. Nach der Abfahrt Thor
Haydaals und seines Begleiters Larry Brent hatte er noch in der Zentrale mit
einem Mitarbeiter und dem Medium über den Aufzeichnungen gesessen. Sein
Mitarbeiter hatte das Medium wenig später nach Hause gebracht. Nur er, Knudvil,
war in der Zentrale zurückgeblieben. Da tauchte die Fremde auf und zwang ihn
mit entsicherter Waffe, mitzukommen.
Während der Fahrt waren ihm die Hände gefesselt und seine Augen mit einem
Tuch verbunden gewesen. Erst als sie den tunnelähnlichen Eingang passierten,
nahm die Frau ihm zunächst das Augentuch ab. Und vor dem Aufstieg über die
schmale Stiege schließlich hatte sie ihm die Handfesseln gelöst.
Erik Knudvil wagte nicht, sich zu rühren. Was sie ihm angedroht hatte,
verwirrte und ängstigte ihn. Und sie hatte ihm versprochen, den Beweis zu
erbringen, daß ihre Worte alles andere als eine Farce waren.
»Es liegt in Ihrer Hand, ob Sie dieses Gewölbe noch einmal lebend verlassen
oder nicht. Ich zögere keine Sekunde, Sie dieser Sammlung einzuverleiben,
Knudvil!« Die Stimme der rätselhaften Frau riß den stellvertretenden
Liga-Leiter in die grausige Wirklichkeit zurück.
»Ich will nur eine Auskunft von Ihnen, Knudvil«, fuhr Inger Bornholm fort.
»Hier, in dieser Umgebung erhalten meine Worte möglicherweise den nötigen
Nachdruck. Sie sehen, was aus denjenigen wurde, die sich meinen Wünschen
widersetzten, oder die
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