043 - Die Mordkrallen
… das Flötenspiel setzte wieder ein, und die Gestalt umtanzte ihn. Langsam konnte er Einzelheiten erkennen. Das Wesen ähnelte den Darstellungen des Gottes Pan.
Eine kalte Hand legte sich in seinen Nacken. Er drehte sich rasch um. Nichts war zu sehen.
Genug des Unsinns!, dachte der Dämonenkiller.
Mit der Taschenlampe leuchtete er den Boden ab. Nach kurzem Suchen fand er die Fußabdrücke, die zwischen den Grabreihen genau auf das Grab der McCoys zuführten. Ein schabendes Geräusch war zu hören. Sand prasselte gegen den Grabstein.
»Lilian!«, brüllte Dorian so laut er konnte.
»Lilian!«, hallte es ihm von allen Richtungen entgegen, so als würde sich eine gewaltige Echoanlage auf dem Friedhof befinden, die seinen Ruf verstärkt hatte und ihn hundertfach zurückwarf.
Hinter sich hörte Dorian Schritte. Er wandte den Kopf um, doch niemand war zu sehen. Die Schritte kamen näher. Ein eisiger Hauch trieb auf ihn zu. Dann verhallten die Schritte.
Im Grabhügel vor ihm klaffte plötzlich ein Loch, das rasch größer wurde. Eine Skeletthand kam hervor.
Der Dämonenkiller stellte seinen Koffer ab, öffnete ihn und löste die Schlaufen, die ein armlanges Krummschwert hielten. Er nahm das Schwert in die rechte Hand und schlug mit voller Wucht auf die Knochenhand, die zersplitterte.
Ein Teil des Grabhügels senkte sich. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, als zwei Skelette aus der Öffnung hervorkrochen. Sie sprangen ihn augenblicklich an.
Er schlug mit dem Krummschwert zu und durchtrennte den Lendenwirbel des einen. Das zweite Skelett griff mit beiden Händen nach ihm. Dorian legte alle Kraft in seinen Schlag. Diesmal traf er besser. Die scharfe Schneide durchtrennte den Halswirbel; der Totenschädel flog davon. Das Skelett brach zusammen. Das Zweite kroch auf ihn zu, und auch diesem schlug er den Schädel ab.
Der Dämonenkiller lief an den beiden Knochenhaufen vorbei zum Grab der Eltern seiner Frau. Vor dem Grab blieb er stehen.
Lilian saß mit geschlossenen Augen auf dem Grabhügel. Sie war nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet.
»Lil«, sagte Dorian und legte das Schwert auf den Boden.
Er griff nach den Schultern seiner Frau, doch sie reagierte nicht. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Er rüttelte sie. »Hörst du mich, Lil?«
»Ich musste herkommen«, flüsterte seine Frau. »Ich musste einfach kommen. Die Toten rufen mich. Hörst du sie? Sie sprechen zu mir. Ich soll zu ihnen kommen. Sie sind ohne mich so einsam. Ich muss zu ihnen.«
»Du kommst mit«, sagte der Dämonenkiller und riss sie hoch.
»Ich will hier bleiben«, hauchte sie.
Dorian zerrte seine Frau vom Grab fort. Nach einigen Schritten blieb sie verwundert stehen.
»Wie komme ich hierher?«, fragte sie überrascht.
»Das frage ich mich auch«, meinte Dorian sarkastisch. »Nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um das Grab deiner Eltern zu besuchen.«
»Ich kann mich nicht genau erinnern«, sagte sie nachdenklich. »Ich wachte auf und hörte eine Stimme. Irgendetwas trieb mich hierher.«
Dorian sagte nichts. Er hängte seiner Frau seine Jacke um die Schultern, griff nach dem Schwert und legte es in den Koffer zurück. Dann nahm er ihren rechten Arm und führte sie durch die Grabreihen. Von den beiden Skeletten, die ihn angegriffen hatten, sah er nichts. Der Grabhügel, aus dem sie gekrochen waren, war wieder zugeschüttet.
Lilian ging wie in Trance. Als sie zu Hause waren, legte sie sich wortlos ins Bett und schlief augenblicklich ein.
Dorian sah lange Zeit seine schlafende Frau an. Irgendetwas hatte sie auf den Friedhof gelockt, und er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er sich nicht auf die Suche nach Lilian gemacht hätte.
Dorian stellte den Koffer in den Schrank zurück. An Schlaf war im Augenblick nicht zu denken; dazu spukte zuviel in seinem Kopf herum.
Weshalb wurde Lilian auf den Friedhof gelockt? Die Toten riefen sie – das waren ihre Worte gewesen. Irgendjemand war brennend daran interessiert, seine Frau in den Wahnsinn zu treiben oder sie zu töten.
Dorian holte sich eine Flasche Bier und ging im Zimmer auf und ab.
Alles hatte mit Hewitts Auftauchen begonnen. In der ersten Nacht, die Dorian in der Abraham Road verbracht hatte, war seiner Frau ein Monster erschienen; und am nächsten Tag hatte sie die seltsamen Erscheinungen gesehen, die ihm verborgen geblieben waren; erst die Verwüstung im Schlafzimmer hatte er mit eigenen Augen sehen können.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, da er vor
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