0431 - Der Gentleman-Killer
vorbei zu dem Verschlag und blieben stehen. Phil knipste die Lampe wieder an und leuchtete auf den Boden vor unseren Füßen.
Es war Grace Hamilton. Sie trug Slacks, Pullover und die festen Schuhe, die wir schon kannten. Neben ihr lag eine kleine Reisetasche, die aufgeplatzt war und den Blick auf ein Kleid aus dunkelsilbrigem Stoff freigab. Grace sah uns mit weitausgerissenen Augen an. Sie hatte gewußt, was ihr bevorstand, und sie hatte versucht, sich zu wehren. Aber ihr Gegner war stärker gewesen.
Das kleine, dunkelumrandete Loch in ihrem Pullover zeigte, daß der Mann, der geschossen hatte, wußte, wohin er zielen müßte. Ich sah es mir genauer an. Es war ein sehr kleines Kaliber.
»Wer war der Mörder?« fragte Phil leise.
»Der Mann, der in dem Achtzylinder 7.u der Kneipe kam, der Mann, der hier die Verwischung der Spuren anordnete — oder der Mann, den Grace nicht kennen durfte. Vielleicht war sie einfach zu einer falschen Zeit gekommen«, gab ich ebenso leise zurück. »Wenn der Mann, der die Überfälle und die Verteilung des Geldes vom Spielschiff aus leitete, sich immer im Hintergrund gehalten hatte, dann hatte der sorgsame Plan, nach dem die Gäste auf das Schiff gebracht wurden, seinen Sinn. Grace Hamilton wurde durch meine Meldung von Claymores Selbstmord angestachelt, die Leute zu warnen. Sie versuchte jedenfalls vor der üblichen Zeit hinüberzukommen. Aber der Boß hatte davon erfahren und kam auch. Sie trafen sich.«
Je länger ich mir diese Theorie überlegte, desto mehr schien sie zu stimmen.
»Das bedeutet, daß der Boß einer der Leute ist, die heute nachmittag bei Hamilton waren«, schloß ich.
»Oder er selbst!« knurrte Phil lakonisch.
»Möglich. Du bleibst hier und wartest. Ich bin sicher, daß jemand zurückkommt. Nimm Verbindung mit unseren Boys auf, sie sollen Hamilton, Olford und Huxley mit seiner Frau unauffällig überwachen. Ich werde mir das Boot schnappen und versuchen, das Schiff zu finden.«
»Das gefällt mir nicht«, sagte Phil. »Wenn du auf das Schiff kommst, werden die Burschen sauer reagieren, und du bist allein.«
»Es gibt keine bessere Möglichkeit«, gab ich zurück. »Wir haben keine Zeit.« Ich ging zu dem Motorboot hinüber und zog es auf die Holzrollen, mit denen es zum Wasser gebracht werden konnte. Phil folgte mir langsam und half dann, das Boot ins Rollen zu bringen. Es ging leicht und fast von selbst. Das Wasser spritzte leicht auf, dann schwamm das Boot. Ich drehte mich noch einmal um und sagte grinsend:
»Falls ish die Mörder verfehle, grüße sie bitte herzlich!«
»Das wollte ich dir auch gerade auftragen!«
Ich warf den Motor an, der sofort kam und erstaunlich leise lief. Die Bucht blieb hinter mir zurück. Das letzte, was ich sah, war mein Freund Phil, der breitbeinig vor dem Schuppen stand und seine Pistole kontrollierte.
***
Als ich etwa zehn Minuten gefahren war, verschwand die zackige Küstenlinie in der Dunstschicht, und ich war auf mein Orientierungsvermögen angewiesen. Ich sah das aufflackemde Signal des Turmes am Rockaway Point bei den Leuchtturm von Norton Point bei Coney Island. Aus dem Abstand dieser beiden Lichter konnte ich meine eigene Richtung bestimmen.
Dann war ich so weit draußen, daß ich die Lichter nur noch schwach erkennen konnte. Ich mußte mir genau merken, wenn das rechte Licht gerade aufgeflammt war, und aus dem Gedächtnis die gedachte Linie zu' dem zweiten aufstellen, sobald es flackerte. Ich ließ den Motor so langsam es ging surren und sah mich um.
Das Schiff war so plötzlich da, und es war so nah, daß ich fast erschrak. Es sah aus wie die Werbeaufnahme einer Reederei für Luxusjachten. Alle Fenster waren hell erleuchtet, an Deck hingen bunte Lampions, und aus einem Lautsprecher kam heiße Musik.
Ich stellte den Motor ab und ließ das Boot etwas näher herangleiten. Der weißliche Nebel war trocken und erschwerte das Atmen. Auf der ganzen Fahrt war mir kein anderes Boot begegnet. Lautlos tauchte ich das Ruder ins Wasser und brachte das Boot bis an den Bug des Schiffes.
Es prallte gegen die .herunterhängenden Schaumstoffkissen, und ich band es fest. Ich hatte gesehen, daß auf der anderen Seite des Schiffes schon zwei Motorboote auf den Wellen auf und ab wippten und hoffte nur, daß mein Boot nicht bemerkt würde.
An meiner Seite gab es keine Strickleiter, ich suchte also in meinem Boot nach einem Strick und warf ihn über die Reling. Ich wollte ihn gerade stramm ziehen, um daran hinaufzuklettern,
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