0432 - Sein Todfeind war ein flottes Girl
in die Dunkelheit, aber sie konnte nichts erkennen.
»Immer starren uns die Leute an! Immer sehen wir in ihren Augen bloß Neugierde und stumme Vorwürfe — als wäre es ein Verbrechen, sich zu lieben!« meinte er wütend. »Ist es da ein Wunder, daß man sich ein stilles Plätzchen sucht, um unbeobachtet zu sein?«
»Das ist kein ›stilles Plätzchen‹, wie du es nennst«, sagte das Mädchen und zog fröstelnd die schmalen Schultern hoch. »Es ist unheimlich — wie in einem Film von Hitchcock! Wie bist du überhaupt darauf gekommen? Und woher hast du den Schlüssel für das Tor —?«
»Das Gelände gehört meinem Vater«, meinte er. »Es ist eine alte, verlassene Fabrik. Nächsten Monat wird sie abgerissen. Ich habe mir den Schlüssel geliehen — das ist alles! Kommst du mal mit ‘rauf ins Büro? Es ist noch eingerichtet.«
»Ich denke nicht daran!«
»Du bist ein Angsthase.«
Ich habe ihn verletzt, dachte das Mädchen. Sie löste sich aus seinem Arm. »Also gut — ich will dir beweisen, daß ich kein Angsthase bin!« sagte sie tapfer.
Er blickte sie an und sah ihre großen, dunkel leuchtenden Augen. »Schon gut, Baby«, sagte er. »Vergiß es.«
»Nein, jetzt möchte ich das Büro sehen.«
»Es ist kein Licht oben. Du wirst dich fürchten.«
Seltsamerweise schien sie das nur anzustacheln. »Wenn schon! Du bist ja bei mir.«
Er atmete rascher. »Also gut, wenn du meinst.«
Als sie ausstiegen, bereute das Mädchen, ihn zu dem Besuch gedrängt zu haben. Aber sie wollte nicht zeigen, daß sie schon wieder Angst hatte, und stolperte an seiner Seite durch die Dunkelheit auf ein großes, weißes Gebäude zu.
Der junge Mann probierte einige der Schlüssel durch, die an dem großen Bund hingen. Endlich fand er den richtigen. Im Inneren des Gebäudes war es stockdunkel, feucht und muffig. Der junge Mann zündete ein Streichholz an, aber der Zug brachte das kleine Flämmchen sofort zum Verlöschen.
»Verdammt!« sagte er. Immerhin hatte er gesehen, wo die Treppe nach oben führte.
Hinter ihnen knallte die Tür ins Schloß. Das Mädchen stieß einen erschreckten Ruf aus.
»Baby — das war doch nur der Wind!« sagte er ärgerlich. Er war bemüht, männlich und burschikos aufzutreten; aber die Wahrheit war, daß er es längst bereute, das Unternehmen gestartet zu haben. Die Dunkelheit legte sich bedrückend und drohend auf seinen Mut. Natürlich hätte er das um keinen Preis der Welt zugegeben.
Das Mädchen faßte furchtsam nach seiner Hand. Er zog sie zur Treppe. Sie stiegen hinauf, langsam, furchtsam, tastend.
»Was wir tun, ist eigentlich verrückt, nicht wahr?« fragte das Mädchen wispernd, als sie den letzten Treppenabsatz hinter sich gebracht hatten.
Er lachte und erschrak vor dem eigenen Gelächter. »Warum sprichst du so leise? Hier hört uns niemand!«
»Ich weiß nicht.«
Er ließ sie los und zündete ein weiteres Streichholz an. Diesmal hielt sich das zitternde, tanzende Flämmchen einige Sekunden lang am Leben. Sie sahen eine Tür, an der ANMELDUNG stand.
»Da geht‘s ‘rein«, sagte er. Im nächsten Moment zischte er »Aua!« Er hatte sich die Finger verbrannt.
»Es war eine Schnapsidee von uns, Tom. Warum haben wir nicht den Mut, das zuzugeben? Laß uns umkehren.«
»Sofort«, sagte er und faßte nach ihrer Hand. »Ich will dir bloß noch die Rezeption zeigen. Wie im Museum, sage ich dir! Mit alten Plüschsofas und solchem Kram.«
»Nein, ich will nicht!« Aber dann gab sie doch nach und ließ sich widerstrebend von ihm in die Rezeption führen. Die Tür knarrte wie ein Requisit aus einem Gruselfilm. Das Geräusch zerrte an Daphnes Nerven, aber jetzt war ihr schon alles egal.
Tom fluchte leise vor sich hin. Er klopfte seinen Anzug suchend ab. »Wo, zum Henker, sind denn bloß die Streichhölzer? Ah, jetzt habe ich sie.« Er ließ Daphne los und faßte in die Hosentasche.
Daphne trat einen halben Schritt zur Seite.
Im nächsten Moment schrie sie laut und gellend auf. Sie war auf etwas Weiches getreten — auf etwas, das sich anfühlte, als ob es lebte.
Es war ein Schock für sie, lähmend, ekelerregend und enervierend.
Schluchzend warf sie sich Tom an die Brust. »Oh, Liebling — führ mich hier raus, schnell! Warum hast du mich in dieses gräßliche Haus gebracht? Warum?«
Beruhigend strich er ihr mit der Hand über das seidenweiche, glatte Haar. Der grelle Schrei des Mädchens hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht. Er brauchte einige Zeit, um sich zu beruhigen.
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