0433 - Zum Sterben einen Stellvertreter
einladen?«
»Pah, was bilden Sie sich ein?« erwiderte sie schnippisch, »das wäre die erste Einladung eines Fahrers, die ich annähme.« Schneller hätte ich das Girl nicht in ihre Kabine zurücktreiben können.
Ich hatte kaum Zeit, das Büro zu studieren, denn Pomploun kam schon wieder zurück.
»Sie sollen sich beim Chef vorstellen«, verkündete er und warf mir mein Permit zu.
Pomploun selbst begleitete mich zur Tür. Ich wurde bereits erwartet.
Der Chef war ein Neffe des alten Jack Cannon und führte seit zehn Jahren die Firma. Er war hager, und seine Haut wirkte wie braunes, rissiges Leder. Die Tropensonne hatte aus ihm das letzte Gramm Fett herausgeschmolzen. Die Nase war leicht gerötet.
Als ich an einem schmalen Tisch ihm gegenüber Platz nahm, wehte mir eine Whiskyfahne entgegen.
»Sie wollen bei uns arbeiten?« fragte er. Die Stimme war brüchig und tief. Der Mann war höchstens fünfundvierzig, wirkte aber bedeutend älter.
»Allerdings suche ich einen Job«, erwiderte ich, »hoffe, daß ich heute noch losgondeln kann.«
»Ihre Fahrerlaubnisscheine sind in Ordnung?« fragte er höflich. Trotzdem sah ich, wie er iede meiner Bewegungen belauerte.
»Klar, Chef, sonst hätte ich mich nicht gemeldet. Übrigens hat Lion Brecket mir Ihre Firma empfohlen, weil er bei Ihnen gearbeitet hat.«
Der Mann starrte mich verständnislos an, so daß ich mich zu einer Erläuterung gezwungen sah.
»Damals hieß er allerdings noch Ben Gripsom.«
Cannon schien nachzudenken. Zumindest gab er sich den Anschein.
»Dieser Gripsom soll als Fahrer bei uns gearbeitet haben?« fragte er vorsichtig.
»Allerdings. Haben Sie gestern abend nicht den Boxkampf gesehen? Als Lion Brecket hat er den Argentinier fast k. o. geschlagen, ehe das Mißgeschick passierte und Lion umfiel.«
Aber Cannon schien sich nicht sonderlich für Sport zu interessieren. Er drehte sich um. Hinter seinem Schreibtisch hing eine Landkarte. Die Städte am oberen Rand waren etwa achtzig Meilen von New York entfernt.
Cannon drehte sich im Sessel und drückte auf einen Knopf, der am Schreibtisch angebracht war. Hinter der Karte erstrahlten Neonröhren.
»Zwischen Rocky Hill und Bens Village, zwei kleinen Ortschaften auf der Route von Albany, liegt ein Wagen von uns. Der Fahrer ist mit einer Blinddarmentzündung vor zwei Stunden ins Krankenhaus gebracht worden. Ich brauche den Wagen. Er ist mit Scheibenglas beladen. Wir fahren Früchte ins Landinnere und nehmen Fertigprodukte der Industriestädte zurück, um den Wagen auszulasten. Trauen Sie sich zu, einen solchen Fünftonner zu fahren?«
»Hätte ich mich sonst gemeldet?«
»Okay. Wenn Sie sich beeilen, kriegen Sie den Bus, der nach Albany fährt. Sie müssen in Rocky Hill aussteigen und mit einem Taxi zu dem Wagen fahren. Hier haben Sie einen Vorschuß von hundert Dollar und die zweiten Autoschlüssel. Sehen Sie zu, daß Sie heute nachmittag hier sind.«
»Sie können sich darauf verlassen, daß ich es schneller schaffe«, entgegnete ich, nahm die Scheine in Empfang und ging hinaus. Ich spürte, wie der Bursche mir nachstarrte.
***
Gegen halb zehn morgens stieg Phil vor dem Bellevue Hospital aus dem Taxi. Wenige Minuten später erfuhr er, daß Miß Paine bereits in aller Frühe entlassen und von einem Krankenwagen des Hospitals in ihre Wohnung gebracht worden war.
Eine halbe Stunde später stand Phil vor ihrer Wohnungstür. Miß Paine öffnete selbst. Sie trug einen eng anliegenden Hausanzug aus bunter Chinaseide. An ihren Füßen klebten leichte Goldsandaletten.
Phil hielt ihr seinen Ausweis entgegen und fragte:
»Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«
Sie nickte und trat zurück.
»Sie wollen mir einige Fragen stellen, die mit dem Tod von Lion Brecket Zusammenhängen, Mr. Decker?« fragte sie so ruhig, daß Phil sich wunderte.
»Es tut mir leid, daß ich so kurz nach diesem fürchterlichen Ereignis schon zu Ihnen kommen muß. Ich weiß, wie sehr Sie davon betroffen sind. Aber wir sind auf Ihre Mithilfe angewiesen.«
Alice Paine öffnete die Tür zu ihrem Salon und ging hinein.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Decker«, sagte sie und ließ sich auf eine Couch fallen, die mit Leopardenfellen bedeckt war.
Mein Freund setzte sich in einen Sessel.
»Etwas zu trinken?« fragte sie.
»Nein, danke, ich habe nicht vor, Sie lange aufzuhalten, Miß Paine.«
»Sie stören mich nicht. Ich habe heute morgen ohnehin nichts vor.«
»Die Nachricht muß Sie gestern abend sehr hart getroffen haben«,
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