0433 - Zum Sterben einen Stellvertreter
rief, sah ich auf Lions rechtem Unterarm eine auffallende Tätowierung. Sie stellte einen Kreis dar, an dem fünf Sterne saßen.
Noch immer fiel mir nicht ein, wo ich Lion Brecket begegnet war.
Der Ringrichter war ein Mann mit zolldicken Speckfalten auf den Rippen und einem gutmütigen Gesicht. Er belehrte die beiden Kämpfer und schickte sie in ihre Ecken zurück.
Dann ertönte der Gong zur ersten Runde. Die Gegner tänzelten umeinander herum. Schon begann das Publikum auf den obersten Rängen zu pfeifen. Ich konnte die Erregung verstehen. Ich hätte bei den subtropischen Temperaturen auch nicht Boxer sein wollen. Der Gong beendete das erste Abtasten und schickte beide Boxer wieder in ihre Ecken.
Lion Brecket drehte mir den Rücken zu. Der Trainer redete im Schnellfeuertempo pausenlos auf seinen Mann ein. Ich versuchte bei geschlossenen Augen über Brecket nachzudenken. Soviel stand für mich jetzt schon fest: Lion Brecket hatte früher, als er mir begegnet war, anders geheißen.
Als der Gong zur zweiten Runde ertönte, schnellte Lion herum und war mit einem Sprung mitten im Ring, griff mit gestochenen Geraden und schnellen Haken gegen Kopf und Körperpartie an. Vereinzelt klang Beifall auf, der innerhalb von wenigen Augenblicken orkanartig anschwoll. Lion Brecket schlug unbarmherzig zu. Er hämmerte pausenlos auf den Gegner ein.
Sprechchöre bildeten sich. Der Argentinier torkelte durch den Ring und versuchte zu klammern. Aber Lion brachte ihn mit einigen Aufwärtshaken wieder auf Distanz.
Dann geschah plötzlich etwas Seltsames. Lion Brecket stand mitten im Ring, warf die Arme hoch und schien in der Bewegung zu erstarren. Dann sackte er zusammen und schlug hart auf dem Boden auf.
Der Ringrichter hob die Hand und begann zu zählen: »Eins, zwei, drei, vier… fünf…«
Es dauerte einige Sekunden, ehe die Zuschauer begriffen, was geschehen war. Dann setzte ein Johlen und Pfeifen ein. Pappbecher flogen über uns weg in den Ring.
Der Ringrichter zählte unverdrossen weiter. »Sechs… sieben… acht…«
Aber Lion Brecket rührte sich nicht. »Neun…«
Ich sprang auf und sah das Profil des Boxers. Noch heute läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken, wenn ich an diesen Augenblick denke.
***
Phil schob den Krawattenknoten noch einige Zoll tiefer und öffnete den zweiten Hemdknopf. Mit einem Aktendeckel fächelte er sich Luft zu, als das Telefon anschlug.
Phil meldete sich.
»Da ist ein Mann in der Leitung, der einen G-man sprechen möchte«, sagte die Telefonistin in der Zentrale.
»Bin ich der einzige G-man in diesem Laden?« fragte Phil mürrisch. Das herzhafte Lachen des Girls entwafnete ihn schnell. »Geben Sie durch«, sagte er.
»Hallo, G-man, ich muß Sie dringend sprechen«, keuchte eine aufgeregte Stimme.
»Reden Sie«, knurrte Phil, »können Sie bei der Hitze nicht schlafen, oder warum rufen Sie mich an?«
»Nein, ich… ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Es ist wegen Lion Brecket.«
Phil angelte sich einen Bleistift aus der Plastikschale und zog einen Block heran.
»Der Boxer Lion Brecket?« fragte mein Freund.
»Ja, der Boxer, der heute abend gegen Rocky Robero im Madison antritt.«
»Mann, Sie müssen sich geirrt haben, wir sind kein Auskunftsbüro für Sportwetten. Sie sprechen mit dem FBI.«
»Das weiß ich, G-man, hören Sie gut zu. Lion Brecket ist in Gefahr.«
»In Gefahr?« fragte Phil langgedehnt.
»Geben Sie der Police Anweisung, den Kampf sofort zu unterbrechen und lassen Sie Lion Brecket unter Polizeischutz abführen«, forderte der Mann mit sich überschlagender Stimme.
Phil sah zur Decke, wischte sich wieder den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch.
»Aber wir können doch nicht einfach einen Boxkampf abbrechen lassen«, erwiderte er. »Aus welchem Grund schlagen Sie uns das überhaupt vor?«
»Jetzt ist es ohnehin zu spät. Jetzt klettert Lion in den Ring«, murmelte der Mann am anderen Ende. Er schien auf die Mattscheibe zu starren.
»Hallo, hören Sie«, brüllte Phil in die Muschel, »warum sollen wir den Kampf verhindern?«
»Lion Brecket ist in Gefahr. Die Bestien werden ihn umbringen, ich weiß es genau«, stammelte der andere.
»Wer sind Sie überhaupt? Geben Sie mir Ihre Adresse«, forderte Phil. Aber der andere reagierte nicht darauf.
»Ich habe ihn gewarnt«, stammelte der Anrufer, »vorhin noch habe ich ihm einen Brief in die Kabine geschickt. Aber Lion hat für die Warnung eines Freundes nur ein geringschätziges
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