0436 - Im Reich der Kraken-Schlange
Leonardo deMontagne murmelte eine Verwünschung. Zamorras Amulett hätte es vielleicht noch geschafft. Es war stark, es war das stärkste von allen sieben, die Merlin einst geformt hatte.
Alle anderen sechs waren schwächer, und das schwächste von allen war das erste. Zu seinem Leidwesen wußte Leonardo deMontagne nicht, welches in der Reihenfolge er besaß. Ihm fehlten Vergleichswerte.
Ihm war nur klar, daß seins sich momentan verausgabt hatte. Er konnte nicht eingreifen, konnte nichts unternehmen. Und er hütete sich auch, Zamorra im direkten Kampf gegenüber zu treten. Dafür war die Zeit noch nicht wieder gekommen. Zamorra war stark, und er war gefährlich. Leonardo hatte aus seinen Niederlagen gelernt. Er war vorsichtig geworden.
Er ging kein vermeidbares Risiko mehr ein. Und er hatte zu viele andere Dämonen im Kampf gegen Zamorra sterben gesehen. Ihr Schicksal wollte er selbst nicht teilen.
Als er wieder nach unten sah, fiel ihm auf, daß jemand sich im Wasser befand…
***
Zamorra konzentrierte sich auf den Einsatz des Kristalls. Der blaue Sternenstein bezog seine Energie aus unergründlichen Tiefen des Universums, besaß eine nahezu unbegrenzte Kraft. Aber die Grenzen fanden sich im Bewußtsein und der psychischen und parapsychischen Leistung des Besitzers und Benutzers.
Zamorra konnte mit dem Dhyarra-Kristall beinahe alles bewirken - solange er in der Lage war, es sich bildhaft vorzustellen und dieses Bild dem Kristall mit der Kraft seiner Gedanken aufzuzwingen.
Und um genau das bemühte Zamorra sich momentan.
Er stellte sich eine Szene vor, so realistisch wie nur eben möglich. Er zwang sich, einen Film vor sich zu sehen, der dreidimensional ablief, auf einer Bühne, die von der Natur-Kulisse vorgegeben war.
Er gaukelte ein Opfer vor und hoffte, daß die Kraken-Schlange es annahm.
Aus dem Nichts heraus entstand das Bild eines Mädchens, das das Ufer verließ und ins Wasser hinaus watete.
Nicole runzelte die Stirn. Glaubte Zamorra etwa, das Monstrum werde auf eine Frauengestalt eher reagieren als auf einen Mann? Alte amerikanische Science-Fiction- und Fantasy-Magazine fielen ihr ein, auf deren Titelbildern bösartige, schleimige Monstren grundsätzlich über hübsche, spärlich bis gar nicht bekleidete Mädchen herfielen. Nicole hatte nie verstanden, weshalb außerirdische Wesen ein so starkes Interesse ausgerechnet und ausschließlich an irdischen Frauen hatten. Vermutlich das gleiche starke Interesse, wie es diese Kraken-Schlange haben würde…
Aber Nicole sprach Zamorra nicht darauf an. Erstens würde sie damit seine Konzentration stören und das plastische, verblüffend wirklich erscheinende Bild eines nackten Mädchens in sich zusammenbrechen lassen und damit die ganze Aktion in Frage stellen, zum anderen war ihr klar, daß Zamorra selbst an der Vorstellung eines solchen weiblichen Wesens viel eher arbeiten konnte als an der eines Mannes. Wenigstens hatte er in seiner Vorstellung dem plastischen Fantasiebild nicht Nicoles Aussehen gegeben… aber dann wiederum fragte sie sich, welche Idealvorstellung er als Maß nahm, wer das Vorbild sein mochte…
Sie hätte darüber eifersüchtig werden können, wenn ihr nicht klar gewesen wäre, daß Zamorra ihr treu war, und daß dies ein Köder war, den das Monstrum buchstäblich schlucken sollte.
Das Pseudo-Mädchen hatte jetzt den Boden unter den Füßen verloren und schwamm mit der Strömung vom Wasserfall fort, auf die Mitte des kleinen Sees zu.
Auf Zamorras Stirn bildeten sich erste feine Schweißtropfen. Die hatten ihre Ursache weniger in der relativ hohen Nachmittagstemperatur, sondern in seiner geistigen Anstrengung, das realistisch wirkende Bild stabil zu halten. Nicole, die diese Phänomene kannte, war sicher, daß dieses Stereo-Bild sogar Gewicht auf eine Waage bringen würde.
Die Dhyarra-Kristalle waren in dieser Hinsicht absolut perfekt.
Es kam natürlich auch immer darauf an, über welche geistige Stärke der Besitzer verfügte…
Nicole hoffte, daß das Monstrum schon bald angriff, damit Zamorra seine Anstrengung aufgeben konnte.
Immer noch schwamm das Mädchen, wühlte die Wasseroberfläche auf. Wer darauf nicht aufmerksam wurde, mußte völlig blind sein. War das Monster blind? Das konnte doch nicht sein.
Plötzlich war es da.
Von einem Moment zum anderen griff es an! Lautlos tauchte es aus der Seetiefe auf und schnappte zu!
***
»Nein«, keuchte Leonardo deMontagne. Er umklammerte sein Amulett. »Halte es auf, verdammt.
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