044 - Der Teufelseid
Geräusch, als klatschte etwas Dickflüssiges mit großem Druck gegen die Wand. »Dann höre zu. Du kannst dir ungefähr ausmalen, wie es bei einem solchen Initiationsritus zugeht. Da muss ausgiebig geopfert werden. Und die Opfer müssen etwas Besonderes sein. Was wäre also besser geeignet als ein Hermaphrodit? Wahrlich ein würdiges Opfer für diesen Anlass – Phillip, der Schrecken aller Dämonen!«
»Das ist absurd«, sagte Dorian heftiger als er wollte. Coco sollte Phillip entführt haben, um ihn zu opfern?
Nein. Er traute ihr vieles zu, das aber nicht.
»Nein«, sagte Dorian fest. »Wie kommst du überhaupt auf diese Idee? Hast du Beweise?«
»Ich habe mir nur einiges zusammengereimt«, erwiderte Hewitt. »Hast du dir schon überlegt, wie Phillip entführt wurde? Du weißt, dass in ihm übernatürliche Fähigkeiten schlummern. Er muss seinen Entführer also gekannt, ihm vertraut haben, dass er sich nicht zur Wehr setzte, von seinen Fähigkeiten keinen Gebrauch machte. Und glaube nur ja nicht, Coco Zamis hätte irgendwelche Gewissensbisse …«
»Genug davon«, herrschte Dorian den Freak an. »Wenn du mir nicht mehr als diese Hirngespinste anzubieten hast, dann kannst du bis zum Jüngsten Tag schmoren.«
Damit wandte sich Dorian ab.
Das Klagen und Wimmern des gequälten Freaks hallte noch lange in seinen Ohren.
Als Dorian in sein Reihenhaus zurückkam, graute bereits der Morgen. Er setzte sich an den Lesetisch in der Bibliothek, schaltete die Stehlampe ein und betrachtete in ihrem Schein das Foto.
Jetzt wusste er, an wen ihn die Unbekannte erinnert hatte. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Coco war da. Dorian schloss die Augen und lehnte sich zitternd zurück. Nein, das konnte sie ihm nicht antun.
Aber was wusste er schon darüber, was in einer Hexe vorging? Zu welchen Abscheulichkeiten sie unter dem Druck Olivaros fähig war?
Dorian hatte wirre Träume.
Als er sich später an sie zu erinnern versuchte, erschienen sie ihm noch verworrener, als sie in Wirklichkeit gewesen sein mochten. Es war ein unerklärliches Gemisch aus seinen Erlebnissen, Wunschgedanken und Ausgeburten seiner strapazierten Fantasie. Zumindest bis zu dem Augenblick, als die Unbekannte mit den roten Haaren auftauchte.
Zuerst errichtete er einen großen Scheiterhaufen, den er Olymp nannte, und legte Coco darauf. Dann entzündete er den Scheiterhaufen. Jerome Hewitt stimmte ein Freudengeheul an. Doch sein eitriger Ausfluss löschte die Flammen. Hewitt schwang sich unter qualvollem Geschrei zu einem Untoten aufs Motorrad und fuhr mit ihm in Richtung Olivaro davon, der gerade in leidenschaftlicher Umarmung mit Coco, die er vor dem Scheiterhaufen gerettet hatte, vorbeischwebte. Der Hermaphrodit Phillip war nur ein nebeliges Gebilde in der Ferne, entschwand immer mehr. Lilian und Marvin Cohen kamen Hand in Hand heran. Cohen pflückte für sie Blumen und Lilian schrie Dorian an, dass er endlich die Whiskyflasche fortstellen solle. Aber Dorian trank weiter, bis er bis zum Hals in einem Fass mit Bourbon stand. Jedes Mal wenn er sich bückte, um die bernsteinfarbene Flüssigkeit zu schlürfen, versickerte sie, und wenn er sich aufrichtete, stieg ihm der Whisky wieder bis zum Hals.
Und dann sah er sich auf einem unübersichtlichen Lagerplatz der Unbekannten gegenüber. Sie war aber nicht deutlich zu sehen, sondern flimmerte, als sei sie nur eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana. Er musste sich abwenden, weil ihm bei ihrem Anblick die Augen schmerzten. Und so konzentrierte er sich auf seine Umgebung.
Er wusste nach dem Erwachen nicht, wieso er in seinem Traum nie das Bedürfnis empfunden hatte, mit Phillips Entführerin zu sprechen, Verhandlungen über die Bedingungen für seine Freilassung zu führen.
Die Umgebung war ihm viel wichtiger. Er wollte sich jede Einzelheit einprägen, um wieder hierher zu finden. Er war ja jetzt nicht wirklich hier, sondern träumte nur. Er träumte, es sei zehn Uhr – und das bedeutete, dass er um zehn Uhr des nächsten Abends herkommen müsse. Und zwar allein, denn er war auch in seinem Traum ohne Begleitung.
Er sah sich also um. Nein, das war kein Lagerplatz, sondern ein Autofriedhof. Rund um ihn türmten sich Berge ausrangierter Wracks. Er merkte sich die Stelle, an der er stand, prägte sie sich genau ein, um wieder herzufinden.
Er kannte diesen Autofriedhof, war schon öfters daran vorbeigefahren. Er lag außerhalb des Stadtgebiets, nur fünf Meilen von seinem Reihenhaus entfernt. Er würde herkommen.
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