0441 - Die Beerdigung
die südlichen Bezirke. Sie rollten manchmal an der Themse entlang, ohne sie allerdings zu überqueren. Je mehr sich das Häusermeer der City lichtete, um so stärker verdichtete sich auch der Dunst. Die Luft war feucht geworden. Erste Anzeichen eines beginnenden Frühsommernebels huschten schattengleich durch die Lichtlanzen der Scheinwerfer.
Die Schwaden sahen aus wie hauchdünne Tücher. Manche von ihnen zeigten Löcher und waren aufgerissen, so daß sie an Fetzen eines alten Leichenhemds erinnerten.
Jane dachte darüber nach, welchen Friedhof es in der Nähe gab. Da kam eigentlich als großes Areal nur der Brompton Cemetery in Frage. In der Länge erreichte er manchmal die Ausmaße des Hyde Parks, wenn er auch wesentlich kleiner war.
Jane kannte den Friedhof. Sie wußte, daß es dort normale Gräberfelder gab, die hin und wieder von Parklandschaften abgelöst wurden, auf denen die Kreuze in Reih und Glied standen. Wiederum existierten Flecken, die erinnerten an einen dichten Wald, denn sehr breite Buschgürtel hinderten oft genug an einem Fortkommen.
Nahe des Friedhofs lag auch das Western Hospital. Die Kranken konnten im Winter, wenn die Bäume kein Laub trugen, von ihren Zimmern auf den Friedhof schauen.
Kein erhebender Anblick…
Die beiden Wagen näherten sich dem Friedhof von der Themse-Seite her. Sie hatten den Vorort Chelsea bereits durchfahren. Auf der breiten Fulham Road holte sie wieder etwas auf. Der Nebel war auch verschwunden. Er lag mehr in den Flußauen.
Jane spürte den leichten Magendruck. Er zeigte ihr an, daß etwas in der Luft lag. Es war gar nicht so einfach für sie, wieder normal zu reagieren.
Manchmal glitten ihre Gedanken zurück. Da fühlte sie sich in die Zeiten versetzt, als sie noch als Detektivin arbeitete und ähnliche Verfolgungen zu ihrem täglichen Brot gehört hatten.
Wie sehr hätte sie sich ein Autotelefon gewünscht, aber Glendas Wagen war damit nicht ausgerüstet. Sie hatte versprochen, anzurufen, wenn es möglich war. Telefonzellen hatte sie genug entdeckt, nur war es ihr nicht gelungen, anzuhalten, da sie die anderen auch nicht aus den Augen verlieren wollte.
Und so rollte sie weiter.
Hin und wieder schielte sie auf die Tankanzeige. Der Zeiger bewegte sich bereits im letzten Drittel. Sehr weit durften die Gangster nicht mehr fahren.
Und sie steuerten den Friedhof an. Von der Fulham Road gab es eine direkte Zufahrt. Sie lag an der Südseite des Friedhofs. Hohe Laternen warfen einen matten Glanz auf den dunklen Asphalt der Straße. Der Friedhof hatte keine großartige Umzäunung. Sie wäre bei seiner Größe auch zu aufwendig.
Dafür kehrte der Nebel zurück.
Zunächst sehr fein, in hauchdünnen Schleiern, die von verschiedenen Seiten gegen Janes Wangen trieben und auch durch die Lichtstrahlen der Scheinwerfer huschten. Sie konzentrierte sich auf die Heckleuchten des Mafia-Autos und sah diese manchmal verschwimmen wie Blutflecken.
Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig.
Bei dem Transporter flackerte der rechte Blinker. Das Fahrzeug wurde scharf herumgezogen und in den Bereich des Friedhofs gelenkt. Jane fuhr aber an der Stelle vorbei und wollte schon abbremsen, als sie plötzlich erleichtert aufstöhnte, denn im Restlicht ihrer Scheinwerfer tauchte an der linken Seite eine rote Telefonzelle auf.
Das Häuschen stand dort verloren. Es sah aus wie ein dicker Finger.
Jane kam es vor wie ein Gruß vom Himmel.
Vor der Zelle bremste sie ab und schnellte aus dem Wagen. Kleingeld trug sie zum Glück bei sich, hob den Hörer ab und warf zwei Münzen in den Schlitz.
Während sie wählte, versuchte sie, ihren Atem zu beruhigen. Die ehemalige Hexe wußte, daß keiner aus dem Freundeskreis um John Sinclair in dieser Nacht Schlaf finden konnte, erst recht nicht ein Mann wie Sir James.
Dessen Nummer hatte sie gewählt. Sir James schien neben dem Apparat gelauert zu haben.
Jane ließ ihn kaum sprechen. Sie sprudelte ihre Meldung herunter, und der Superintendent hörte zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen.
Erst als sie geendet hatte, fragte er: »Und Sie meinen, daß die Männer John dort verscharren wollen?«
»Ja. Es gibt auf diesem großen Friedhof genügend Verstecke. Ich kenne ihn.«
»Was schlagen Sie vor?«
Da hatte sich Jane ebenfalls schon etwas ausgedacht. »Sir, ich bin ja hier vor Ort, aber allein kann ich nichts ausrichten. Die Killer kennen keine Gnade die würden mich abschießen. Können Sie einen Großeinsatz veranlassen?«
»Wie haben Sie
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