0441 - Die Nacht der stillen Mörderin
beides Dinge, die es noch schwerer machten, ihr den Tod des Vaters mitzuteilen. Am liebsten hätte ich darauf verzichtet, aber dazu hatte ich kein Recht. Von allen Seiten unseres Berufes haßte ich diese am meisten — schlechte Nachrichten zu überbringen.
»Miß Ogg«, sagte ich, »ich habe Ihnen etwas zu sagen. Sie werden viel Kraft brauchen!«
»Ich weiß, was Sie meinen«, flüsterte sie.
»Sie wissen…?«
»Daß mein Vater tot ist — ja, ich wußte es schon, als ich bei Ihnen anrief!«
»Nun, ich…«
»Ein Polizeireporter rief mich noch in derselben Nacht an. Er ist ein guter Bekannter, und er sagte mir, daß mein Vater ermordet wurde. Ich habe immer so etwas geahnt. Das Leben, das er führte, konnte kein gutes Ende nehmen.«
»Sie hatten keinen Kontakt zu ihm?« tastete ich vor.
Sie schüttelte den Kopf.
»Schon seit vielen Jahren nicht mehr. Wir hatten uns völlig entfremdet. Sie wissen doch, was für ein Mensch er war. Nie müssen das verstehen.«
»Ich kann es verstehen«, murmelte ich.
»Allerdings war die Trennung nicht vollkommen. Seit Jahren kam er zu mir und lieh sich Geld. Ich habe eine Stellung, wo ich gut verdiene, müssen Sie wissen. Und er brauchte ewig Geld. Er kam immer wieder zu mir.«
»Und? Halfen Sie ihm?«
»Natürlich. Ich half, soweit ich konnte. Was hätte ich denn sonst tun sollen? In letzter Zeit verlangte er allerdings immer mehr. Ich glaube, er spielte in einem illegalen Spielklub. Natürlich verlor er viel.«
Sie sprach sehr leise. Ihr dichtes schwarzes Haar lag verspielt um ihr Gesicht.
»Ich konnte ihm aushelfen — bis vor zwei Wochen. Da kam er zu mir, völlig aufgelöst und einem Nervenzusammenbruch nahe. Er hatte wieder gespielt und verloren. Man hatte ihm, da er nicht bezahlen konnte, eine Frist von zwei Wochen gegeben.«
»Nun«, sagte ich, »Spielschulden können vor Gericht nicht eingeklagt werden. Das hat er sicher gewußt. Und wie ich Ihren Vater in Erinnerung habe, hatte er nicht gerade einen Ehrenkodex, der ihn zum Bezahlen trieb, nicht gegenüber den Leuten, mit denen er spielte.«
»Sie wissen ja nicht, mit wem er spielte.«
»Doch«, sagte ich, »ich kann es mir gut vorstellen. Broadway-Ganoven, die ihre eigene Methode haben, Schulden einzutreiben. Wir kennen diese Dinge, Miß Ogg!«
»Dann können Sie auch verstehen, in welch verzweifelter Lage er war.«
»O ja, das kann ich. Und — konnten Sie ihm helfen?«
»Er schuldete fünftausend Dollar, das ist auch für mich sehr viel Geld. Trotzdem versuchte ich es. Aber mein Konto hatte ich schon überzogen — seinetwegen, und die Bank weigerte sich, meinen Kredit zu erhöhen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte.«
»Und weiter?«
»Es kam zu einer sehr unerfreulichen Szene«, sagte sie leise. »Dann ging er. Aber zwei Tage später war er wieder da — völlig verzweifelt. Er sagte, wenn es ihm nicht gelänge, das Geld aufzutreiben, würden sie ihn umbringen, und ich sei der einzige Mensch, der etwas für ihn tun könne.«
»Was haben Sie getan?«
»Ich bin zu Mr. Flush gegangen. Es war der letzte Ausweg.«
»Ihr Chef!«
Sie nickte. »Er wollte natürlich wissen, wofür ich das Geld brauchte, und ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Was blieb mir sonst übrig?«
»Ja, natürlich. Wie nahm er es auf?«
»Nun, ich weiß, daß Sie Mr. Flush kennen. Er hat sehr hart arbeiten müssen, um ein reicher Mann zu werden. Und wenn es etwas gibt, was er verabscheut, dann sind es haltlose Menschen wie Hiram. Er fand sehr harte Worte für ihn. Er sagte, selbst wenn er mir das Geld gäbe, würde mein Vater weiterspielen und befände sich dann ein paar Wochen später wieder in der gleichen Situation. Ich sollte Hiram den Rat geben, die Stadt zu verlassen und zu versuchen, sich anderswo ein neues Leben aufzubauen.«
»Haben Sie sich damit zufriedengegeben?«
»Nein!«
»Was erreichten Sie?«
»Mr. Flush erklärte sich schließlich bereit, mir die Hälfte des Geldes zu geben. Aber es dauerte ein paar Tage, ehe ich ihn wenigstens so weit hatte. In der Zwischenzeit gab es ein paar häßliche Auftritte mit meinem Vater — er ging schließlich und drohte, sich das Leben zu nehmen. Als ich endlich Nevadas halbe Zusage hatte, versuchte ich sofort, meinen Vater zu erreichen — die Frist war inzwischen fast abgelaufen.«
»Gelang es Ihnen?«
»Ich hatte Mühe — er hatte ja keinen festen Wohnsitz. Ich rief in allen Lokalen an, in denen er zu verkehren pflegte, und bekam ihn schließlich an die
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