0441 - Die Nacht der stillen Mörderin
Na, lassen wir das. Was wurde aus den anderen Schiffen?«
»Die ,Bellina‘ geriet 1957 in einen Sturm und sank!«
»Ebenfalls hoch versichert, oder?«
»In der Tat, Sir. Sie reden, als kennen Sie den Fall!«
»No. Ich bin Hellseher. Was wurde aus der ›Ballerina‹? Sie geriet vermutlich 1959 in einen Sturm…«
»Nein, das Schiff fährt heute noch. Im Augenblick liegt sie mit einer Ladung Maschinenersatzteile für Brasilien im New Yorker Hafen.«
»Ich wußte gar nicht, daß die Brasilianer so viele Maschinen haben.«
»Ja, es scheint so.«
»Wo liegt die ›Ballerina‹ genau?«
»Am Pier 116, East Side. Sie muß heute oder morgen auslaufen. Ich kann das feststellen, wenn Sie es wünschen!«
»Nicht nötig«, brummte ich, bedankte mich und hängte auf.
Ein alter Frachter mit Maschinenteilen für Südamerika an Bord, der früher Old Yellowstain gehört hatte — ob da das Geheimnis zu finden war? Jedenfalls konnte es nicht schaden, sich das Schiff einmal anzusehen. Mit Sicherheit sagte mir das mehr zu als das Studium vergilbter Akten.
Ich rief in der Zentrale an.
»Wenn Phil sich meldet — ich bin jetzt unterwegs, versuchen Sie, mich über Funk zu erreichen. Sonst rufe ich zurück. Phil soll seine Nachrichten auf Tonband sprechen!«
»Wird gemacht, Mr. Cotton!«
Fünf Minuten später war ich auf dem Weg zum Hafen.
Pier 116 lag im Licht trüber Laternen. Es war inzwischen dunkel geworden; ein kalter, unfreundlicher Aprilwind blies vom Fluß her. Ich hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und besah mir den Eingang zum Pier. Das große Tor stand halb offen, in dem hell erleuchteten Wärterhäuschen daneben saßen zwei Männer und unterhielten sich. Weiter draußen lag das Schiff; die Umrisse waren schwach zu erkennen.
Zwei Minuten später stand ich vor dem Schiff.
Aus der Ferne hatte die »Ballerina« noch wie ein Schiff ausgesehen; aus der Nähe war sie nur mehr ein schwimmender Haufen Rost. Ich hatte schon viele heruntergekommene Schiffe gesehen, aber dieses hier schlug alle Rekorde.
Das Schiff hatte den »blauen Peter«
gesetzt, das Zeichen dafür, daß es in den nächsten Stunden in See gehen würde. Auf dem Flaggenstock am Stern wehte die panamesische Flagge.
Oben auf den Decks war niemand zu sehen. Aber das Quartier und die Kajüte des Kapitäns waren schwach erleuchtet. Irgendwo spielte jemand Gitarre.
Das Fallreep war ausgebracht. Ich kletterte die Jakobsleiter hinauf. Kein Mensch begegnete mir, als ich mich an Deck umsah. Ich wich einer großen Ölpfütze aus und erreichte den Gang, der zur Kajüte führte. Gleich darauf klopfte ich an.
Ein Stuhl rückte, schwere Schritte näherten sich. Dann erschjen eine massige Gestalt im Licht der sich öffnenden Tür, ein verfettetes, unrasiertes Gesicht. Der Mann kratzte sich auf der Brust; er war im Unterhemd und starrte mich an.
»Dachte ich mir’s doch«, sagte er mir einer Stimme, die wie Schmirgelpapier auf Schleifstein klang. »Wer hier klopft, muß ein Fremder sein.«
»Sind Sie der Skipper?« fragte ich. »Erraten. Kapitän Wayne. Und Sie?«
»Mein Name ist Cotton!«
»Und was wollen Sie hier?«
»Ich suche Nevada Flush!«
Der Skipper verzog keine Miene. »Kommen Sie ’rein!«
In der Kajüte herrschte wüste Unordnung. Ein Haufen schmutziger Wäsche lag in der Ecke. Auf dem Tisch stand eine Flasche ohne Etikett. Sie war fast leer.
»Was wollen Sie von Flush?« fragte der Skipper.
»Ihn sprechen!«, »Und?«
»Das übrige sage ich ihm selbst!«
Ohne mich aus den Augen zu lassen, griff er nach der Flasche, setzte sie an, leerte sie in einem Zug. Dann spuckte er aus.
»Ich habe Sie noch nie gesehen. Wer schickt Sie. Gorgonzola?«
Ich horchte auf. Langsam sagte ich: »Ich hab’ es doch schon gesagt — ich verhandle nur mit Flush!«
»Dann such ihn doch!« höhnte der Skipper. »Ich habe kein Auskunfsbüro, sondern ein Schiff.« Der Wechsel im Tonfall war bemerkenswert. Offenbar hatte er mich zunächst für einen Abgesandten Gorgonzolas gehalten.
»Ihr Benehmen entspricht Ihrem Schiff«, sagte ich ruhig. »Trotzdem sollten Sie es sich überlegen. Vielleicht ändert das Ihre Meinung!«
Ich griff in die Tasche, holte das Lederetui mit der Marke heraus.
»FBI, Mister Wayne. Wir suchen Flush, und aus Ihrem Verhalten kann ich schließen, daß Sie wissen, wo er ist.«
Er machte ein überraschtes Gesicht, dann verzog sich sein Gesicht zu einem bösartigen Grinsen.
»Sieh einer an — ein Bulle. Dein Gesicht hat mir gleich nicht
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