0443 - Einer hat den Mord gefilmt
Schubkraft.«
Ich nahm einen Schluck von dem schubkraftlosen Saft. »Hing früher nicht eine Kugel an der Decke?« fragte ich.
Er nickte. »Ein Himmelsglobus! Waren Sie schon einmal hier? Ein Gast führte den Untergang der Welt herbei, indem er eine Sektflasche hineinwarf.« Schon wollte ich die Bilder aus der Tasche ziehen, als ich zufällig sah, wie sich die Tür der Telefonzelle öffnete. Die Zelle befand sich neben den Eingängen zu den Waschräumen. Ein Mädchen kam heraus. Ihr Haar fiel in tizianroten Wellen bis auf die Schultern. Das Haar war das einzig wirklich Schöne an dem Girl.
Obwohl auch das Gesicht nicht häßlich war, standen doch die Augen zu eng, die Backenknochen war zu ausgeprägt. Einiges stimmte in diesem Gesicht nicht. Obwohl es jung war, hatten die Gier und das Laster ihre ersten Spuren eingeprägt.
Die Frau, die die Telefonzelle verließ, war identisch mit dem Girl, das Writers Bilder zeigten.
Sie kam dicht an mir vorbei. Ich faßte ihren Arm und hielt sie fest. Sie blieb stehen und lächelte mechanisch. »Sie sehen genauso aus wie das Girl, von dem ich in der vergangenen Nacht träumte«, sagte ich. »Nehmen Sie einen Drink mit mir?«
»Ich bin schon eingeladen worden. Mein Gast sitzt dort hinten am letzten Tisch.«
Ich ließ sie nicht los. »Wie steht es mit meiner Schulterbreite? Glauben Sie, daß er mich aus dem Anzug stoßen kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist fast sechzig Jahre alt und einen Kopf kleiner als ich.«
Ich beugte mich vor, ließ den Arm los, legte beide Hände um ihre Taille und hob sie auf den nächsten Hocker. Sie verzog spöttisch den Mund. »Haben Sie lange an dem Kunststück geübt?«
»Selbstverständlich! Bei ständig höherem Gewicht der Damen! Zur Zeit lifte ich Ladys bis zu zweihundert Pfund auf Barstühle bis zu vier Fuß und zwölf Zoll Höhe. Was trinken Sie?«
Sie wählte Whisky. Ich wechselte von Orangensaft zu stärkeren Treibstoffen über. Sie trank sparsam, aber sie rauchte viel. Manche ihrer Zigaretten rochen gefährlich süß. Ihrer ganzen Aufmachung nach konnte sie nicht sehr gut bei Kasse sein.
Ihr grünes Abendkleid machte einen abgeschabten Eindruck. Das Leder der Handtasche war brüchig, die Spitzen der Schuhe abgestoßen.
Die Clips an ihren Ohren, das Halsband und eine glitzernde Ansteckbrosche waren so echt wie Glas, geglänztes Aluminium und poliertes Messing nun einmal sind. Das Armband an ihrem rechten Handgelenk hingegen war unter Brüdern zehntausend Dollar wert.
Ich ließ langsam eine Show ablaufen, die sie in den Glauben versetzen sollte, ich hätte an ihr Feuer gefangen. Sie reagierte nicht. Sie nutzte nicht einmal die scheinbare Chance, mir eine große Zeche aufzubrummen.
Sie blieb gleichgültig, fast geistesabwesend. Sie dachte offensichtlich an etwas anderes als an ihren Job. Ich erfuhr, daß sie Renée Duval hieß. Sie sagte, ihr Vater sei Franzose gewesen. Das war alles, was ich über sie erfuhr.
Um vier Uhr morgens zeigte ich Wirkung. Sie schien heilfroh zu sein, als ich endlich zu lallen begann. Ich rutschte zweimal vom Barhocker herunter.
Beim drittenmal eilte ein Kellner herbei und hob mich in einen Sessel. Ich brummelte vor mich hin und hielt die Augen halb geschlossen.
Renée war so nüchtern wie eine Flasche Mineralwasser. Sie betrachtete mich gleichgültig, gähnte, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und fragte den Keeper: »Hat er alles bezahlt, Charly?«
»Alles in Ordnung«, bestätigte der Keeper.
Sie gähnte noch einmal. »Ich gehe nach Hause«, sagte sie. »Laß ihn sich ausruhen, bis der Laden geschlossen wird. Dann wirf ihn hinaus.«
Ich sah, wie sie die Bar durch eine Tür mit der Aufschrift »Nur für Personal« verließ. Eine knappe Stunde später sah ich im trüben Grau des New Yorker Morgens, wie sie ein Haus in der East 36. Straße betrat. Ich hatte eine Fährte gefunden.
***
Um neun Uhr schrillte das Telefon neben der Couch, auf der Renée Duval lag. Sie schlief nicht, obwohl ihre Glieder vor Müdigkeit schmerzten. Sie hob den Hörer ab.
»Alles in Ordnung!« Writer sprach nervös und abgehackt. »Ich habe gerade mit der Bank telefoniert. Ich sagte, ich riefe im Auftrag von Mrs. Snyder an und nannte das Stichwort. Daraufhin gaben sie mir Auskunft. Er hat gezahlt. Auf dem Konto 45 41 02 liegen einundfünfzigtausend Dollar. Hole fünfzigtausend Dollar ab, Darling!«
»Wo bist du, Harry?«
»Kümmere dich nicht darum.« Er lachte. »Darling, ich habe mir eine möblierte Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher