0445 - Die Macht des Träumers
Nervosität zermürbst.«
»Nun gut«, sagte er. »Ich verspreche dir, daß ich mit dem Grübeln erst einmal aufhöre. Komm, ich helfe dir beim Einschlafen.«
Aber dann hatte Nicole wirklich nicht mehr viel Hilfe nötig. Fast bedauerte er es, aber andererseits drängte es ihn, sich mit dem Traum zu befassen.
Er hatte Nicole nicht belogen, als er sein Versprechen gab.
Er wollte nicht länger grübeln.
Er wollte handeln. Und er hatte auch schon eine vage Vorstellung über das »Wie«.
***
Das Werdende begann einen Teil der Kontrolle zurückzugewinnen. Es konnte wieder steuernd in den Traum eingreif en.
ES war vorsichtig geworden. ES rechnete damit, daß der andere Träumer seine Anwesenheit registrierte und sich dagegen wehrte. Das Andere, das Fremde, das die Traumwelt kurz berührt hatte, hatte sich nach der Warnung noch nicht wieder eingemischt.
Das Werdende sah dieses Träumen und Lenken als eine Art sportlicher Übung. Als ein Training für die Zukunft. ES konnte daraus leinen.
ES wollte daraus lernen.
***
Cascal musterte den Fürsten, dessen Füße eine Handbreit über dem Stein boden der Terrassenplattform schwebten. Wie macht er das? fragte Ombre sich. Im ersten Moment hielt er den Fürsten für eine Holografie, für eines jener dreidimensionalen Bilder, die durch Laserstrahlen erzeugt werden und frei in der Luft schweben. Aber Holografien werfen keine Schatten. Der Fürst tat es. Unwillkürlich sah Cascal zur weißen, nicht blendenden Sonne hinauf und verglich Sonnenstand und Schattenlänge. Diesmal gab es keinen Regiefehler.
Dieser Fürst brachte es tatsächlich fertig, zu schweben. Daß man einen Schatten künstlich erzeugen konnte ohne einen festen Körper, der ihn warf, widersprach allen physikalischen Gesetzen. Eher ging es an, daß ein Körper dank mehrerer Lichtquellen auch mehrere Schatten warf, dachte der Mann, der »Schatten« genannt wurde und der nicht ahnte, daß es einen Dämon gab, der seinen Schatten von sich lösen und selbständig handeln lassen konnte.
Daß er schwebte, war nicht das einzige Merkwürdige an diesem Fürsten. Er besaß kein Gesicht.
Nein, das stimmte nicht. Er besaß tausend Gesichter. Kein Zug, keine Linie waren exakt zu definieren. Wenn Cascal eine Phantomzeichnung hätte anfertigen sollen, er wäre überfordert gewesen. Das Gesicht war zugleich breit und schmal, oval und kantig, alt und jung. Die Nase war scharf vorspringend und flach, der Mund war dünnlippig und wulstig, die Augen rund und schmal, braun, grün, blau, schwarz… nur nicht silbern. Die Haare waren lang und kurz oder überhaupt nicht vorhanden, blond und dunkel, das Gesicht glatt und bärtig, die Ohren abstehend und flach. Nichts blieb; alles war in ständigem Wandel begriffen, und je mehr Cascal versuchte, in fast sportlichem Ehrgeiz neue Merkmale zu entdecken, desto mehr fand er auch.
Dasselbe galtiür die Statur und die Kleidung. Mal war es ein kleiner Junge, mal ein ausgewachsener, massiger Koloß, hinter dem Bud Spencer sich gleich zweimal hätte verstecken können. Nichts ließ sich festhalten. Der Fürst war jeder und niemand zugleich.
Ich träume, dachte Cascal. So etwas kann es einfach nicht wirklich geben. Selbst nicht in den unglaublichen Welten, mit denen dieser Zamorra zu tun hat…
Der Fürst schwebte langsam auf Cascal zu.
»Du bist als Ombre«, sagte er.
Auch seine Stimme war seltsam. Sie konnte die eines Kindes sein, aber auch die eines uralten Greises.
Fest stand nur, daß dieses unglaubliche Wesen männlichen Geschlechts war.
Alles andere war veränderlich, nicht festgelegt…
»Ich wüßte nicht, seit wann wir so gute Freunde sind, daß wir uns duzen«, gab Cascal zurück. »Da, von wo ich komme, stellt man sich erst einmal vor, ehe man ein Gespräch beginnt. Bei mir erübrigt sich das nun jawohl. Woher wissen Sie meinen Namen?«
Der Fürst lachte spöttisch.
»Du hast ihn selbst genannt. Dieser Frau gegenüber. Ich hörte es.«
Cascal stutzte. »Sie - Sie hörten es?«
»Ich habe viele Augen und Ohren«, sagte der Fürst. »Was meine Beauftragten sehen und hören, verraten sie mir.«
Cascal verzog das Gesicht. »Daß Sie viele Augen und Ohren haben, sehe ich, Mister. Da ist auch noch eine ganze Menge mehr, wovon Sie zuviel haben. Vielleicht sollten Sie sich mal für eine bestimmte Erscheinungsform entscheiden.«
Der Fürst lachte wieder.
»Dazu ist es noch nicht an der Zeit«, sagte er. »Ich werde es mir beizeiten überlegen. Vielleicht kannst du mir auch
Weitere Kostenlose Bücher