0445 - Die Macht des Träumers
begänne zu denken und seine Meinung zu äußern. Fändest du das nicht ebenso beunruhigend?«
Nicole wandte sich um. »Das Amulett ist etwas ganz anderes«, sagte sie. »Du kannst es nicht mit so profanen Gebrauchsgegenständen vergleichen.«
»Anfangs war auch Merlins Stern ein profaner Gebrauchsgegenstand«, sagte Zamorra. »Nur mit dem Unterschied, daß es sich um Magie handelt. Wenn es sich jetzt vermenschlicht… bei aller Fantasie, aber das zu akzeptieren fällt mir schwer. Vor allem will ich mir nicht vorschreiben lassen, was gut oder schlecht für mich ist. Mich gibt es länger als dieses… dieses Ding, dieses Beinahe-Wesen.«
»Wirklich?« Nicole lachte leise. »Es wurde geschaffen, als die Kreuzritter unter Gottfried von Bouillon Jerusalem eroberten. Seit jener Zeit existiert es. Okay, du hast dich durch Zeitreisen schon in weitaus früheren Epochen aufgehalten. Aber wenn du deine effektiven Lebensjahre zusammenzählst, kommst du nicht einmal auf einen geringen Bruchteil seiner Existenzdauer.«
»Und wenn ich ab Datum seiner Bewußtwerdung zähle?«
»Dann hast du natürlich recht.«
»Ich habe immer recht«, sagte Zamorra locker, um die Diskussion etwas zu entkrampfen. Nicole war müde; sie hatte die ganze Zeit über, während er sich im Hypnoseschlaf regenerierte, vor dem Computerterminal gesessen. Er war sicher, daß sie deshalb etwas zu aggressiv oder auch zu gleichgültig reagierte, je nach Stimmungsschwankung.
»Du träumst«, erwiderte Nicole lächelnd, mit mildem Spott. »Ich denke, wir sollten erst einmal abwarten. Ich habe stundenlang gesucht und nichts gefunden, es gibt keine Vergleichswerte und keine Möglichkeiten. Wir müssen erst einmal weiter beobachten und Fakten sammeln. Dann können wir weitersehen. Der letzte Haken fehlt, an den wir unsere Bemühungen hängen können.«
»Vielleicht«, sagte Zamorra.
Ein Echo war in seinen Gedanken. Das Echo eines Wortes.
Du träumst.
***
Cascal zwinkerte, aber der Eindruck kam nicht zurück. Shironas Augen waren nicht mehr silbern.
Es mußte Einbildung gewesen sein. Vielleicht ein Lichtspiel. In dieser seltsamen Welt schienen viele Dinge möglich zu sein, die es sonst nicht gab.
Der Schwarzgekleidete mit dem Morgenstern und der Peitsche zog Cascals Aufmerksamkeit auf sich. Er deutete auf Shirona. »Bringt sie einstweilen fort«, sagte er. »Der Fürst will zunächst mit diesem hier reden.« Der Peitschenstiel, als Zeigestock benutzt, berührte Cascals Brust. Yves reagierte sofort. Seine linke Hand schnellte hoch und umfaßte die Stelle, wo Stiel in Schnur überging. Sofort zuckte er wieder zurück und betrachtete seine schmerzende Hand. Ein feiner Blutfaden zeigte sich. Die Peitschenschnur hatte die Innenhaut seiner Hand aufgeschnitten. Jetzt sah Cascal auch, daß die Schnur ein schmaler, metallischer Streifen war, messerscharf geschliffen und äußerst beweglich, daher also das Schimmern…
Die Blonde hatte gesehen, daß er verletzt war. »Vergiß es einfach«, empfahl sie ihm. »Es gibt Schlimmeres. Denke nicht mehr daran.«
Er lachte bitter auf, während die Pseudo-Ninjas Shirona davonführten. Sie ließ es sich widerstandlos gefallen. Sie schien sich auch völlig sicher zu fühlen. Im Gegensatz zu ihr war Cascal weniger davon überzeugt, daß ihm nichts passieren würde. Zumindest hatte er nun schon einmal eine Verletzung davongetragen. Ausgerechnet die Handfläche! Sobald er sie bewegte, schmerzte es teuflisch. Er konnte froh sein, daß er nicht mit der rechten Hand zugegriffen hatte…
»Beweg dich«, sagte der Peitschenmann.
Es hatte keinen Sinn, sich zur Wehr zu setzen. Die Rohre, aus denen Dolche geschleudert werden konnten, redeten eine deutliche Sprache. Ihrer Schleudergeschwindigkeit konnte Cascal auf diese kurze Entfernung nicht ausweichen. Und er hatte vor dem Haus in der Seitenstraße gesehen, welcher Schwung dahinter steckte. Die Dolche würden seinen Körper glatt durchschlagen und mit tödlichen Wunden reißen. Dieses Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen. Er mußte auf eine bessere Chance warten. In der Form hatte Shirona recht - es gab Schlimmeres als seine Handverletzung. Eine Verletzung durch einen dieser Dolche nämlich.
Man führte ihn über einen großen Hof. Staub und Steine, mehr nicht. Der Hof war tot. Nichts lebte hier. Keine Pflanzen, nicht einmal Moos. Kein Insekt kroch zwischen den Fugen der Steinplatten. Alles war steril, künstlich.
Ehe er sich’s versah, brachte man Cascal ins Innere eines
Weitere Kostenlose Bücher