0445 - Die Macht des Träumers
Gebäudes mit dreimeterdicken Mauern. Er wurde eine Steintreppe hinaufgeführt. Obgleich es keine Fenster gab und keine Fackeln, war es hier nicht vollständig dunkel. Er konnte die Stufen sehen und brauchte nicht zu stolpern. Anders als in jenem Fluchtgang aus der Stadt heraus, als er Shirona blind vertrauen mußte.
Dann trat er hinaus auf eine große Terrasse. Vielleicht war es auch ein Balkon. Cascal registrierte zunächst einmal nur die große Freifläche, von einer Steinmauer mit hohen Zinnen eingefaßt. Teilweise war die Fläche überdacht. Die Säulen waren mit den Reliefs von gehörnten Teufelsfratzen verziert. Feuerschalen brannten mit blauen Flammen. Ein leichter Wind berührte Cascals Gesicht. Es war ein warmer Wind, der aus der gelben Wüste kam. Verblüffenderweise flackerten die blauen Flammen in einem völlig anderen Rhythmus.
Regiefehler, durchzuckte ihn ein Gedanke. Waren diese Flammen vielleicht nur eine Illusion?
Langsam drehte er sich um.
Seine Bewacher waren von einem Moment zum anderen spurlos verschwunden. Hinter Cascal erhob sich eine hohe Wand mit unzähligen Erkern und Winkeln, Fenstern und Türen. Und vor einer dieser Türen schwebte eine Gestalt.
Niemand brauchte Yves Cascal zu sagen, daß das der Fürst war.
Du träumst.
Das Wort ging Zamorra nicht mehr aus dem Kopf. Du träumst. Irgendwie wußte er, daß das der Schlüssel war.
Träume.
Er hatte geträumt. Im Traum hatte er diese Landschaft gesehen - und da schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihm ihm im ersten Moment als so fantastisch erschien, daß er ihn einfach nicht glauben wollte.
Ein Traum! War diese Landschaft einem Traum entsprungen?
Zamorra schüttelte den Kopf. Er ließ sich in den Ledersesel sinken und lehnte sich zurück. Ein Traum des Amuletts. Es war unglaublich. Nein, unglaubhaft war die bessere Bezeichnung. Aber warum sollte andererseits ein Etwas nicht träumen können, das in der Lage war, sich mit einem Menschen orakelhaft zu unterhalten?
»Nein«, flüsterte er. »Das wäre zu einfach.« Denn in seiner hypnotischen Schlafphase hatte er keine direkte Verbindung zu Merlins Stern gehabt. Er konnte an dessen Traum, wenn es einer war, nicht teilhaftig geworden sein.
Oder doch?
War nicht das eine genauso fantastisch wie das andere? Wenn er das eine akzeptierte, mußte er dann nicht auch das andere akzeptieren?
Eine andere merkwürdige Begebenheit fiel ihm ein. Es war schon einige Zeit her, und die Druidin Teri Rheken war darin die Zentralfigur gewesen. Sie hatte äußerst realistische Träume erlebt, in denen sie, sobald sie einschlief, eine Kriegerin in einer barbarischen Welt war. Später stellte es sich heraus, daß es sowohl diese barbarische Welt als auch die Kriegerin tatsächlich gab, und daß diese wiederum in ihren Träumen sich als Druidin in der Welt der Menschen sah! Über ihre Träume waren sie durch die Schranke der Welten eng miteinander verbunden gewesen, wenigstens für eine kurze Zeit [1]
Hier war keine Parallele zu sehen -außer, daß beide Vorfälle mehr als ungewöhnlich und unglaubhaft waren.
Zamorra zwang sich, die Annahme zu akzeptieren, das Amulett könne geträumt haben. War sein Bewußtsein schon so stark ausgeprägt? Wenn ja, war es kein Wunder, wenn es versuchte, Zamorra davon abzulenken, indem es warnte. Es wollte seinen Traum mit niemandem teilen und war einfach nur in der Traumphase überrascht worden.
Aber Zamorra hatte ebenfalls von der Landschaft geträumt.
Vielleicht doch durch eine innere Verbindung mit Merlins Stern?
Aber dann paßte immer noch seine innere Unruhe nicht dazu, die ihn aufgeweckt hatte und die er auch jetzt, nach seiner erzwungenen Schlafphase, noch nicht wieder verloren hatte. Die Unruhe hielt ihn nach wie vor im Streßzustand.
Er sah Nicole jetzt auf der Schreibtischkante vor ihm sitzen. »Hör auf zu grübeln«, sagte sie. »Wir brauchen mehr Fakten. Du machst dich nur selbst kaputt. Wir können vorläufig nichts feststellen und nichts tun. Glaubst du immer noch, diese andere Welt erreichen zu können?«
»Es ist keine andere Welt. Das Amulett hatte recht«, sagte er. »Es ist ein Traum.«
Nicole hob die Brauen. »Vielleicht bin ich mittlerweile zu müde, um das zu verstehen.«
Zamorra erhob sich. Er küßte Nicole. »Vielleicht solltest du dich ein paar Stunden hinlegen. Du brauchst den Schlaf nötiger als ich. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«
Sie seufzte. »Ich kann nicht schlafen, wenn du dich in deiner
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